In einer Familie
dort!« rief der Major, als seine Tochter die
Thür zum Korridor öffnete.
»Ihr habt noch gar nicht bemerkt, daß ihr vom
Vorzimmer gleich in unsere Wohnung eintreten
könnt. Unser liebenswürdiger Wirt hat mir ohne
weiteres erlaubt, die Verbindungswand durchbre-
chen zu lassen.«
Im Vorzimmer zu Doras Boudoir, das man dem-
gemäß zu passieren hatten, wurde indes die kleine
Gesellschaft durch eine Überraschung aufgehalten,
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in deren Erwartung Herr v. Grubeck sich schon
längst vergnügt die Hände gerieben hatte.
»Für uns Kinder!« rief der alte Herr aus, wäh-
rend er die Seinen vor einen zur Decke rankenden
Tannenbaum führte, dessen strahlender Lichter-
glanz nach der schwachen Beleuchtung der Räume,
aus denen sie gekommen, besonders Dora und
Wellkamp überraschte und blendete. Anna kannte
die besondere Weihnachtspassion ihres Vaters, der
jedes Jahr mit ihr zusammen selbst seinen Baum zu
schmücken liebte. Diesmal hatte er es also ganz
ohne Hilfe unternommen und wirklich durch die
geschmackvolle Verteilung von Silberflitter und
großen weißen Papierlilien mit goldenen Blüten-
stengeln eine reizende Arbeit ausgeführt. Er be-
trachtete nun, während er die Glückwünsche dafür
empfing, sein Werk mit glänzenden, ganz veränder-
ten Augen. Es war zu merken, wie sehr für ihn
Weihnacht ein Ereignis war, das jedesmal wieder
alle seine alltäglichen Stimmungen für kurze Tage
auseinander zu treiben und mit ein bißchen Kinder-
glück aufzuklären vermochte. Wie wenig mehr als
die gebräuchliche, fast gleichgiltige Anerkennung er
sonst der Religion entgegenbringen mochte, so fand
er doch stets in dieser einzigen Zeit die wehmütig-
glückliche Anhänglichkeit an die alten geheiligten
Gebräuche, welche das Erbteil der inmitten von
Traditionen und Familiensinn Aufgewachsenen
bleibt. Auch dauerte es eine Weile, bis er die Verän-
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derungen der Anordnung, die er hie und da am
Baum noch vornahm, beendet hatte, um endlich
seine Aufmerksamkeit auf das zur Seite stehende
Tischchen zu lenken. Anna hatte Sorge getragen,
hier das für den Vater in Berlin Ausgewählte im
voraus ausbreiten zu lassen. Herr v. Grubeck war
entzückt über die verständnisvolle Gabe seiner Kin-
der, die ihm einige der Kunstblätter widmeten, die
unlängst auf der Ausstellung seinen besondern Bei-
fall gefunden und ihm jetzt aufs neue Ausdrücke in-
nerster Befriedigung entlockten.
Es hatte jeder bei Auswahl der kleinen Ge-
schenke, die er dem andern unter den Baum legte,
weniger auf die Kostbarkeit oder Originalität des
Gegenstandes als auf den Wert einer besonderen
persönlichen Aufmerksamkeit gesehen, mit der Fa-
milienmitglieder untereinander ihren Geschmack, in
den sie sich gegenseitig genügend eingeweiht haben,
treffen können. Dabei waren dann doch wieder zum
Teil die unerwartetsten Dinge herausgekommen. So
war Wellkamp überrascht, für sich ein neues Werk
eines seiner Lieblingsautoren zu finden, für das er
Frau v. Grubeck zu danken hatte.
Dora kam ihm entgegen, als er auf sie zuging.
»Ist es recht?« fragte sie mit dem ruhigen Lächeln,
das er seit heute an ihr kannte.
»Sie haben es in Ihrer Güte mit Ernst Renan ganz
überraschend gut getroffen. Ich habe den ›Priester
von Nemi‹ wirklich noch nicht gelesen, habe ja auch
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in jüngster Zeit kaum ein Buch und besonders keine
neuen Erscheinungen in die Hand genommen.«
Sie wollte schon mit leichtem Nicken an ihm vor-
bei und zu ihrem Gatten hinübertreten, dessen neue
Kunstschätze sie noch nicht näher besichtigt. Als sie
jedoch den Kopf erhob, streifte sie ein Blick Annas,
den diese, neben ihrem Vater stehend, über die Bil-
der hinweg auf sie gerichtet hielt, und der sie unwill-
kürlich ihren Schritt anhalten ließ. Vielleicht
täuschte sie sich, aber sie hatte eine tief feindliche
Regung in diesem kurzen Blick bemerkt, und es war
gerade infolge dieser Bemerkung, daß sie das Ge-
spräch mit dem jungen Manne wieder aufnahm.
»Ich fürchte, ich habe es viel zu gut getroffen«,
sagte sie, »Sie wissen doch, wie gefährlich ich den
Einfluß Ihres verehrten Meisters Renan finde. Er hat
mit seinem ›Dilettantismus‹, mit seinem Allesgel-
tenlassen und seiner geistigen Seiltänzerei schon ge-
nug Unheil unter unserer heutigen Generation ange-
richtet.«
Sie hatte ihr Lächeln nicht verloren während die-
ser Worte, aus denen ein leiser Tadel klang, wie von
einer Mutter, die den
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