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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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schien sich ihre Liebe ganz und gar
    verjüngt zu haben. Wellkamp fand wie nie vorher
    eine vol e und zarte Hingabe an das ganze Wesen der
    Geliebten. Bei seiner Feinfühligkeit für die Empfin-
    dungsweise anderer, welche ihn ja andererseits leicht
    beeinflußbar und schwach von Willen machte, er-
    schloß sich ihm in diesem Fal e das liebenswürdigste
    Verständnis für die unausgesprochenen Neigungen
    und Liebhabereien der jungen Frau.
    »Hast Du bemerkt«, fragte er sie einmal, »daß es
    hier für uns manche verlorene Vormittagsstunde
    gibt, die wir nützlich anwenden könnten? Wie wäre
    es, wenn wir einmal eine Vorlesung hörten oder ein
    Hospital, ein Arbeitshaus besuchten? Ich würde mir
    schon die nötigen Empfehlungen verschaffen, und
    ein wenig ›soziale Studien‹ können nicht schaden –
    wie?«
    An ihrer erfreuten Zustimmung erkannte er, daß
    er einen Wunsch getroffen, den sie vielleicht nur aus
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    Furcht, ihn zu langweilen, nicht auszusprechen ge-
    wagt.
    Man mag hart über den moralischen Zustand
    eines Augenblickscharakters seiner Art urteilen, der
    mit einer gleichsam halsbrecherischen Behendigkeit
    von einem seelischen Standpunkt zum genau entge-
    gengesetzten überzuspringen gewohnt ist. Jeden-
    falls aber belog Wellkamp weder sich selbst noch
    die Menschen, an die er sich jedesmal in aller Auf-
    richtigkeit anlehnte, um ein inneres Gleichgewicht
    zu suchen, das ihm niemals vollständig zu teil ge-
    worden war. Er glaubte in Wahrheit stets, wenn er
    einem neuen Eindruck unterlag, in diesem Falle
    endlich ein Ziel und einen Ruhepunkt gefunden zu
    haben. Man hätte glauben sollen, daß der ewig
    schwankende Dilettantismus, der sich immer neuen
    Einflüssen mit immer gleicher Ausschließlichkeit
    hingab, eine Künstlernatur voraussetzte. Indes war
    Wellkamp das bewußt Spielende der Künstlernatur
    fremd, die alle möglichen seelischen Lebensarten
    durchläuft, ohne eine von ihnen für ihre eigene, ur-
    sprüngliche zu halten oder etwas anderes in ihr zu
    sehen als eine Station ihres Studienganges. Es war
    vielleicht nichts anderes als seine zu große Aufrich-
    tigkeit und der damit verbundene Mangel an
    Selbstkritik, der seinen Geist für eine seiner Natur
    entsprechende Kunstübung untauglich machte. Da-
    mit war er eines Zweckes beraubt, der, einmal in
    seiner Existenz vorhanden und wirksam, vermut-
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    lich etwas ganz Verschiedenes aus ihr gemacht ha-
    ben würde.
    In diesem Falle indes wäre ohne seine wohl zu
    fühlende Aufrichtigkeit die volle Herzlichkeit ihres
    Verhältnisses gar nicht möglich gewesen. Die woh-
    lige Stimmung des auf sich selbst Gelassenseins
    nahm zu mit dem sie umwogenden und fest aneinan-
    der drängenden Leben, das in dieser Zeit noch so
    viel mächtiger geworden. Denn Weihnacht stand
    dicht bevor, die Menge der Menschen hatte sich be-
    sonders in den Hauptverkehrsstraßen verdreifacht,
    und die beiden jungen Leute ließen sich gern von ihr
    treiben. Sie sahen sich zuweilen mit einem Kinderlä-
    cheln an, wenn sie einmal nicht viel mehr nötig ge-
    habt, als einen Fuß vor den andern zu setzen, um
    von ihrer Umgebung den Weg, den sie zurückgelegt,
    entlang geschoben zu werden. Dazwischen betrach-
    teten sie es jedesmal als eine angenehme Überra-
    schung, vor einem oder dem andern Schaufenster
    anzuhalten, an das sie der Zufal herangedrängt. Ein
    willenloses Sichgehenlassen und zufriedenes Ab-
    warten des Kommenden entsprach ganz ihrer dop-
    pelten, weil aus der besondern Bedeutung der Zeit
    und ihrer Liebe hervorgegangenen Feststimmung.
    Daher waren sie auch sofort übereingekommen, ge-
    nau nach dem Wunsche des Vaters zu handeln, von
    dem sie die Mitteilung erhalten, er könne sich wohl
    denken, daß sie sich zur Zeit dort besonders gut un-
    terhielten, aber ohne drängen zu wollen, möchte er
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    doch bitten, daß sie wenigstens gerade zu Weihnacht
    heimkehrten.
    Demnach brachen sie, nach Voraussendung einer
    Depesche, am Morgen vor der heiligen Nacht nach
    Dresden auf. Der Major, der sie am Böhmischen
    Bahnhof mit seinem fröhlichen guten Lachen emp-
    fing und nacheinander in die Arme schloß, führte die
    jungen Leute in ihre neu eingerichtete Wohnung,
    welche gleich der daranstoßenden des Grubeck-
    schen Paares geschmackvol mit Tannen geschmückt
    war. Die sehr gelungene, größtenteils von Herrn v.
    Grubeck selbst angeordnete Ausstattung und dazu
    der festliche Schmuck des kleinen hübschen Appar-
    tements war ganz geeignet, die weihnachtliche

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