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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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um so eifri-
    ger. Er sträubte sich alsbald dagegen, die Berechti-
    gung des Vorwurfes anzuerkennen, den er in Annas
    Augen ausgesprochen glaubte.
    »Zuerst das Hervorkehren der ärgsten Verständ-
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    nislosigkeit,« so durchblitzte es ihn, »nachdem ich
    wochenlang ein wahrhaft gemeinsames Leben mit
    ihr zu führen geglaubt, und jetzt noch ein offenes
    Mißtrauen!«
    Das abweisende Gefühl gegen Anna, das sich sei-
    ner bemächtigt hatte, artete für eine Minute soweit
    aus, daß er alle Bedenken unterdrückte.
    »Und wenn sie recht hat,« sprach eine wilde und
    verzweifelte Stimme in ihm, »– um so schlimmer für
    sie, wir sind alle gegen das Schicksal machtlos!«
    Aber noch bevor er den Gedanken zu Ende ge-
    dacht, biß er sich auf die Lippen, um seine Miene ge-
    waltsam ruhig zu halten in dem wilden Sinnentaumel,
    den die bloße Vorstellung in ihm hervorbrachte, es
    könnten seine bisher vor ihm selbst namenlosen, aber
    von jeder Minute, die er atmete, höher geschwellten
    Wünsche verwirklicht werden. Die verbrecherische,
    quälende Süßigkeit dieser Vorstellung, in der er die
    Unendlichkeit durchkostete, zwang ihn, sich seine
    Rettungslosigkeit zuzugeben. Er wußte nun, daß das,
    was er noch soeben in zorniger Ungeduld »Schicksal«
    genannt, für ihn in Wahrheit die Unerbittlichkeit
    eines solchen erlangt hatte.
    Die jähe Gewißheit machte ihn unfähig, den Blick
    zu erheben. Er hatte ihn von neuem auf das Buch ge-
    senkt, das er noch immer in der Hand hielt, und in
    dessen Blättern seine Finger nervös umherstöberten.
    Nach der angespannten Thätigkeit der letzten
    Augenblicke waren seine Sinne in eine tiefe Er-
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    schöpfung verfallen. Seine apathisch abschweifen-
    den Gedanken gingen sonderbarerweise zu jenem
    ersten Geschenk zurück, das er von Dora empfan-
    gen.
    »Das merkwürdige Stück Holz,« dachte er, je-
    des einzelne Wort im Innern langsam nachspre-
    chend, »– und jetzt dieses Buch. Sie hat unheimliche
    Einfälle.«
    Die Scene, die nun zu Ende gespielt, hatte mit ihrer
    Schicksalsentscheidung, die keinen Widerspruch
    mehr zuzulassen schien, auf Wel kamp die Wirkung
    von langen Stunden seelischer Erregung geübt. Aber
    sie war, wie so häufig die Entscheidung solcher inti-
    men Dramen, durch nichts anderes als durch einige
    Blicke und durch Momente des Schweigens vor sich
    gegangen, und sie hatte nur wenige Minuten in An-
    spruch genommen. Es wurde dem jungen Manne
    durch das Erscheinen des aufwartenden Dieners, der
    das Souper anmeldete, ermöglicht, sich aus seiner
    Erstarrung aufzurichten. Er bot Dora, welche er
    noch immer vor sich stehen sah, den Arm, um sie ins
    Speisezimmer zu führen.
    Bei Tische hatte Wellkamp, dessen Gedanken im-
    mer aufs neue in der verbotenen, unvermeidlichen
    Richtung abzuschweifen drohten, Mühe genug, eini-
    germaßen den Ausführungen Herrn v. Grubecks zu
    folgen, der seine Meinung über die künftige Einrich-
    tung ihres häuslichen Lebens zum besten gab. Der
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    alte Herr sprach in seiner frohen Laune lebhaft den
    Wunsch aus, daß die jungen Leute sein und seiner
    Gattin Leben, so wie sie es sich gestaltet, teilen
    möchten. Es war ja eben geschehen, um die Unbe-
    quemlichkeiten eines Haushaltes, mit Doras Ge-
    wohnheiten und Neigungen durchaus unvereinbar,
    zu umgehen, daß man ein boardinghouse bezogen
    hatte. Dank der Bereitwilligkeit des Vorstehers
    konnte man unabhängig von der übrigen, ausschließ-
    lich englischen Gesellschaft die Mahlzeiten in den
    eigenen Räumen gereicht erhalten, wie ja auch die
    Bedienung eine private war. Überdies wurden alle
    besonderen Wünsche ohne weiteres berücksichtigt.
    »Und schließlich,« fuhr der Major, dem der
    Wunsch, mit der einzig geliebten Tochter in fort-
    währendem Verkehr zu bleiben, den Gegenstand be-
    sonders wichtig machte, fort, »und schließlich müs-
    sen wir etwas zu einander halten, damit wir auch
    wirklich merken, daß unsere Familie jetzt statt aus
    dreien, aus vier Gliedern besteht – fürs erste,«
    konnte er sich nicht enthalten, leiser hinzuzusetzen,
    während er sich vertraulich zu Wellkamp neigte.
    Letzterer hatte den Worten seines Schwiegerva-
    ters hin und wieder mit höflichem Lächeln zuge-
    stimmt. Sie waren fast ausschließlich an ihn gerichtet
    gewesen. Bei seiner Tochter setzte Herr v. Grubeck,
    wie er schon früher zuweilen, halb scherzend, ange-
    deutet, die größte Unlust voraus, ihre intellektuellen
    Beschäftigungen zu gunsten einer

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