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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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belauschte, nach
    dem Sessel, in dem sie zu ruhen pflegte, den Namen
    der Geliebten hinüberzuflüstern:
    »Dora …«
    Als das wilder werdende Spiel seiner Phantasie
    ihn wieder einmal so sich selbst vergessen ließ, sank
    er vor jenem Sessel nieder und preßte seinen Kopf in
    die Kissen, in denen er den Duft ihres Kleides, ihres
    Haares spürte. Dabei hatte er beängstigend deutlich
    ihre Antwort im Ohr, er hörte ihre geheimnisvolle
    Stimme »Erich!« rufen, und es klang wie ein Schick-
    salsruf. Als er in vollständiger Verwirrung lauschte,
    ob es nicht Wirklichkeit sei, vernahm er seinen Na-
    men von einer andern Stimme ausgesprochen, und er
    hatte kaum noch Zeit, aufzuspringen, gehabt, als
    Anna bereits die Portière zurückgeschlagen hatte.
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    »Nun!?« rief er ihr sofort entgegen, und seine
    Stimme war, um seine Überraschung zu verbergen,
    unwillkürlich überlaut und heftig geworden. »Man
    bleibt nicht einen Augenblick allein. Ich habe Kopf-
    schmerzen.«
    »Dann sol test Du Dich nicht dem einnehmenden
    Parfüm aussetzen, das hier im Zimmer liegt. – Ich
    habe Dich von Papa zu fragen, ob Du uns statt seiner
    heute Abend in den ›Tannhäuser‹ begleiten willst.
    Das heißt, ich bleibe für meinen Teil auch gern zu
    Hause. Du weißt, ich bin nicht für Wagner.«
    »Laß Dich nicht abhalten«, sagte er rauh und
    während der Ärger in ihm aufstieg, welcher ihn jetzt
    öfter bei der Berührung mit Anna erfaßte, die er in-
    nerlich bereits als Hindernis für seine Wünsche an-
    zusehen gewöhnt war.
    »Also Du sagst zu?« fragte sie, während sie den
    Blick, der ein stilles Erstaunen bei seiner Heftigkeit
    ausdrückte, auf ihn geheftet hielt.
    Natürlich reizte ihn ihre Ruhe noch mehr.
    »Jedenfalls. Man hockt hier ohnehin zu viel bei-
    einander. Das macht languid auf die Dauer.«
    »Du langweilst Dich, lieber Junge«, sagte sie be-
    gütigend. »Ich glaube, Du solltest Dir eine Beschäf-
    tigung wählen.«
    Sie sah den Grund seiner häufiger auftretenden
    Launen einzig in seiner Beschäftigungslosigkeit, wo-
    bei es wahrscheinlich war, daß sie im letzten Grunde
    Recht behielt. Ihm konnte ihre einmal fixierte Auf-
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    fassung, die ihre Aufmerksamkeit ablenkte, für seine
    augenblicklichen Zwecke nur vorteilhaft sein. Doch
    ward er jetzt bloß erbittert durch dasjenige, was er
    als »Schulmeisterei« an ihr empfand.
    Er wandte sich mit einer so deutlich beleidigen-
    den Bewegung ab, daß sie es bemerken mußte.
    Anna war besonnen genug, ihn ohne weitere Ent-
    gegnung zu verlassen. Sie sah solche kleinen
    Szenen, die in letzter Zeit nicht selten waren, ruhig
    an. Es würde ihr morgen ein leichtes sein, dachte
    sie, alles wieder zu ordnen, wenn er nicht von selbst
    käme. Er ergab sich leicht genug, wenn ihm Zeit ge-
    lassen wurde; auch schien er wirklich etwas gelang-
    weilt, und die Oper würde ihn anregen, sie kannte
    seine Empfänglichkeit für Musik. Indessen pflegte
    sie auch ihre eigene Würde in solchem Falle in ih-
    rem Verhalten abzumessen. Nach dem Vorgefalle-
    nen mit Wellkamp in die Oper zu gehen, erschien
    ihr nicht thunlich. So überbrachte sie Herrn v. Gru-
    beck ihre eigene Entschuldigung und die Zusage ih-
    res Gatten.
    Der Hauptgrund, weshalb Anna dem Besuch des
    »Tannhäuser« von vornherein abgeneigt gewesen,
    lag darin, daß er von Frau v. Grubeck angeregt und
    ihr zu Gefallen beschlossen war. Dora hatte die
    Kleinlichkeit in Bezug auf ihre eigene Person, wel-
    che die junge Frau niemals verleugnen konnte, rich-
    tig berechnet, als sie die Verantwortlichkeit des
    ersten Schrittes, vor welchem der Mann zurück-
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    scheute, auf sich nahm. Sie konnte, während sie ihn
    that, das Gefühl triumphierender Rache durchko-
    sten bei dem Gedanken an die Frau, die für den Be-
    sitz des Mannes von ihr so beleidigend wenig fürch-
    tete. Doch war dies Gefühl nicht die eigentliche
    Triebfeder ihres Entschlusses gewesen, noch war ihr
    dieser leicht geworden. Sie hatte all diese Zeit umso-
    mehr gelitten, als sie die Erfüllung ihres Schicksals
    nunmehr völlig in der Hand des Mannes glauben
    mußte. Je länger sie ihn unentschlossen sah, desto
    fieberhafter ward der Zustand, der sie zugleich zu ei-
    ner erschöpfenden Aufmerksamkeit gegen ihren
    Gatten verdammte. Denn mit welcher Heftigkeit
    nach der Entbehrung ihres ganzen Lebens der Trotz
    gegen al es, Personen und Verhältnisse, die sie umga-
    ben, in ihr zum Ausbruch gelangt war, blieb sie doch
    immer unfähig, sich ihrer Leidenschaft

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