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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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sie
    auf ihn zu wirken begonnen, ohne gleichen und viel-
    leicht unersetzlich dasteht. Was sie peinigt, ist der
    Zweifel, ob nicht Andere vor ihr ihm ganz das glei-
    che gewesen, sein Leben genau so ausgefüllt haben,
    wie sie es jetzt thut. Sie leidet unter dem »zu spät«,
    da sie dem Manne nicht früh genug begegnet, um
    ihm die Erste und Einzige zu sein. In dem Maße, wie
    dieses Ideal, »die Einzige zu sein«, welches al ein das
    ungeheure Opfer, das sie gebracht, in ihren Augen
    rechtfertigen könnte, ihr zu verblassen scheint, neh-
    men Reue und Skrupel zu, die im natürlichen Ge-
    folge ihrer That sind. Dora war zu lange eine anstän-
    dige Frau gewesen, um nicht in ihrem jetzigen
    Zustande die volle Gewalt ihrer momentan von der
    Leidenschaft betäubten bürgerlichen und religiösen
    Instinkte empfinden zu müssen. Die besonderen
    Umstände, welche ihre Schuld erschweren konnten,
    kamen hinzu. Sie hatte nicht nur gesündigt wie eine
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    Andere, sie hatte es im eigenen Hause gethan und in
    der Familie. Ihre Schmach erschien ihr so ungeheu-
    erlich, daß sie der Verachtung ihres Mitschuldigen
    gewiß war, über den es sie zu herrschen verlangte.
    Und wie es stets in diesen traurigen Verhältnissen zu
    gehen pflegt, beantwortete sie seine vorausgesetzte
    Verachtung mit ihrem Hasse. Alles mündete für sie
    in diesen schlimmen Haß aus, der mehr als das, dem
    er gilt, das Herz verwundet, von welchem er aus-
    geht, weil neben ihm noch immer die nie völlig be-
    siegte Liebe darin schlägt.
    Das nächste war, daß die überhand nehmenden
    Bedenken und Wirrungen ihres Gefühls sie nun
    wirklich die Sicherheit verlieren ließen, mit der sie
    den Geliebten bisher zu leiten, seine Instinkte zu
    treffen und zu herrschen verstanden. Dieses Gefühl
    hatte ihr bisher verraten, was so viele Frauen verken-
    nen, daß es in der Liebe einen geheimen Ressort
    giebt, aus welchem sie ihre beste Nahrung zieht, und
    der verschiedener Art, aber stets unantastbar, unaus-
    sprechlich ist, weil er zu zart, vielleicht zu übersinn-
    lich, um durch eine menschliche Geste, ein mensch-
    liches Wort unvergröbert oder unvernichtet zu
    bleiben. Jene Frauen wissen nicht, daß es Stellen in
    dem Drama, das zwei Liebende zusammen auffüh-
    ren, gibt, an denen Schweigen die einzig gestattete
    Sprache ist. Dora wußte es nicht; sie hatte es nur ge-
    fühlt, und keine Spekulation vermag das einmal ver-
    lorene Gefühl zu ersetzen. Dies sollte sich gelegent-
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    lich eines äußerlich unscheinbaren Vorfalles zeigen,
    der beiden Beteiligten in schmerzlichster Weise die
    Erkenntnis der Veränderungen aufdrängte, denen
    ihre Verbindung während ihrer so kurzen Dauer
    ausgesetzt gewesen, indes sie Beide mit der Einsei-
    tigkeit der Leidenschaft den wahren und unwandel-
    baren Sinn ihres Daseins darin gefunden zu haben
    geglaubt.
    Eines Morgens, als er zur gewohnten Zeit Dora in
    ihrem Boudoir aufsuchte, ward Wel kamp durch den
    Empfang überrascht, den er kaum noch so günstig
    zu finden gewohnt war. Sie hatten sich während der
    letzten Tage mehr als je in der ohne sichtbaren
    Grund gereizten Stimmung befunden, die sich da-
    durch maßlos verschlimmert hatte, daß Jeder von ih-
    nen bemüht war, sie dem Andern zu verheimlichen.
    So fand Wellkamp sich schwer in diese Herzlichkeit,
    welche an ihr allererstes Glück erinnerte und noch
    durch eine Weichheit und Hingebung verschönt
    ward, die er selbst damals selten genug an Dora
    wahrgenommen. Sie küßte ihm die Falten von der
    Stirne, während seine Schläfen das zärtliche Schmei-
    cheln ihres weichen Haares empfanden. Warum
    konnte er dennoch ein Gefühl des Unbehagens, bei-
    nahe der ungewissen Furcht nicht unterdrücken? Er
    war versucht, sich ihrer Liebkosungen zu erwehren,
    doch wagte er es nicht, bis er sie plötzlich mit einer
    Stimme, die tiefer als gewöhnlich und zugleich wie
    bedeutend und geheimnisvoll klang, fragen hörte:
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    »Sag’ mir, hast Du das Stückchen Holz, das kleine
    bunte Götzenbild, das ich Dir damals gab, Du weißt,
    an Deinem Hochzeitstage – gut aufgehoben?«
    Er besann sich einen Augenblick unter dem, er
    wußte nicht warum, peinlichen Eindruck, den ihre
    Worte auf ihn machten.
    »Ja, gewiß – wie Alles, was von Dir kommt, mein
    Kind,« sagte er endlich, um den ihm unerklärlichen
    Unwillen, den er nicht ganz verbergen konnte, ver-
    gessen zu machen.
    »Das ist gut«, fuhr sie hastig fort, unter einer in-
    nern Erregung, die auf ihren blassen Wangen

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