In einer Familie
wo zeigten sich seine toten Blüten zuerst? –
Dora war vielleicht nicht mehr jung genug und
jedenfalls durch die Prüfungen und Krisen ihres Le-
bens zu sehr in ihrer so unglücklichen Eigenart befe-
stigt, um selbst durch die große Leidenschaft noch
von Grund aus umgestaltet werden zu können. Die
Bildung, die das Unglück gibt, ist so grausam unver-
wischlich! Was sie ehemals, während ihre widerstre-
bende Natur und hindernde Umstände ihr jedes
Glück verweigerten, als armseligen Ersatz zu neh-
men gewöhnt war, nämlich im Verkehr mit jedem
Manne, der sich ihr näherte, die Herrschaft zu füh-
ren und, solange er sich in ihrem Kreise befand, sein
Schicksal zu sein – das war ihr zum Bedürfnisse ge-
worden, das sie auch jetzt nicht verleugnen konnte.
Hat sich einmal solch eine »zweite Natur« im Men-
schen gebildet, so pflegt sie stärker zu sein als jeder
ursprüngliche Instinkt.
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Kaum war daher der erste, glühende Rausch der
Leidenschaft, in der endlich das so lange verleugnete
und kasteite Weib in ihr sein Recht erhalten, verflo-
gen, als sie bereits die Gewalt, die sie über den gelieb-
ten Mann besaß, zu prüfen und nachzufragen be-
gann, ob sie in Wahrheit seine ganze Existenz unein-
geschränkt leite und ausfülle. Einmal ihrem alten,
mächtigen Bedürfnisse verfallen, ward es ihr nicht
schwer, einen Vorwand für die Qualen zu finden, die
sie von jeher nicht weniger sich selbst als dem Manne
auferlegt hatte. An dem freundschaftlichen Verkehr
Wel kamps mit seiner Gattin, den sie anfangs für ein
Mittel, die Feindin irrezuleiten, gehalten hatte, be-
gann sie nun Anstoß zu nehmen, indem sie sich sagte,
daß das bewegliche und unberechenbare Naturell
Wellkamps es ihm vielleicht möglich gemacht habe,
sich Anna zu gleicher Zeit wieder zu nähern, wo er
endlich ihr selbst anzugehören begann. Und gehörte
er denn überhaupt ihr? Während ihr Leben sich ganz
auf ihn zusammengezogen und gestützt hatte, mit al-
len ihren letzten Hoffnungen und Ansprüchen auf
ein Glück, das sie so oft getäuscht, schien es ihr viel-
mehr, daß von dem seinen nur ein Teil auf sie käme,
nur dasjenige, was die verhaßte Andere ihr übrig ließ.
Das Schlimmste für sie war, daß in diesen eifersüch-
tigen Zweifeln eine Ahnung von den wirklichen Be-
dürfnissen ihres Geliebten lag, die, ganz verschiede-
ner Art, so wenig durch sie wie durch ihre Rivalin
ausschließlich befriedigt werden konnten.
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Die Arme überließ sich ohne Widerstand ihrem
immer schwieriger werdenden Zustande. Sie zögerte
anfangs, zu Wellkamp von ihren Zweifeln zu reden,
dann verlor sie die Lust dazu in dem Maße, wie sie
ihre Qual und den ebenfalls wieder sie selbst peini-
genden Haß gegen den, der sie ihr verursachte, lieb
gewann. Es gibt unglückliche Naturen, für welche
die Liebe gleichsam nur die Folie für den Haß ist,
den sie alsbald unter irgend einem Vorwande auf die
geliebte Person werfen. Er wird dadurch bedeuten-
der und gleichsam schmackhafter.
So wäre vielleicht, langsam und traurig, ohne ein
lautes Wort und unter unüberwindlichen innern
Kämpfen, wie sie es errungen, das seltsame Glück
der beiden Menschen erstickt, wenn nicht Wel kamp
selbst mit dem Instinkt seiner Leidenschaft das
letzte Mittel ergriffen hätte, durch welches es noch
ein kurze Zeit erleichtert und erhalten werden
konnte. Nach jenem einerseits so verstimmenden
Vorfall erlebte ihr Verhältnis eine der späten und ge-
waltsamen Erneuerungen und Wiederbelebungen,
welche die Natur kennt, und auf die bald ein um so
schnelleres, unerbittliches Verblühen und Erkalten
zu folgen pflegt.
In der That zeigte es sich, daß während dieses
scheinbaren Stillstandes der Zerstörungsprozeß,
dem ihr Bund kraft seines innersten Wesens, wie der
ihn erdrückenden Umstände unterworfen war, er-
schreckende Fortschritte gemacht hatte. Aus dem
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zweiten, noch kürzeren und vielleicht, unter der
Angst vor dem Ende, noch heftigeren Rausche
erwacht, fand sich Dora mehr als je allen den zer-
störenden und selbstquälerischen Neigungen unter-
worfen, welche ihr Temperament zeitigte, und wel-
che übrigens gewöhnlich durch die Thatsache selbst
eines unerlaubten und erniedrigenden Verhältnisses
dieser Art notwendig gemacht sind. Es war jenes
Mißtrauen der gefallenen Frau, die sich kaum mehr
darum kümmert, daß sie in dem gegenwärtigen Le-
ben ihres Geliebten, ja seit dem Augenblick, wo
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