In einer Familie
zwei
rote Flecke hervortreten ließ.
»Es liegt mir so viel daran, weil – weil –« Sie
wühlte in den Falten ihres Kleides, aus welchem sie
ein grotesk bemaltes Stück Holz hervorzog, das
Wel kamp ähnlich dem in seinem Besitz befindlichen
erkannte. »– weil ich selbst ein ebensolches be-
wahre«, vol endete sie dann. »Es ist ein Talisman, der
uns zusammenhält, so lange Jeder von uns sein Teil
besitzt. Eine alte Negerin, drüben bei uns, hat ihn
mir gegeben. Ach, Du glaubst nicht, wie kindisch
abergläubisch ich bin.«
Auf diese letzten, in heftigem Flüstertone sich
überstürzenden Worte folgte wieder jenes leis klir-
rende Lachen, das Wellkamp so gut kannte. Viel-
leicht erwartete sie, daß er ihr wie früher mit einem
Kusse die Lippen schließen würde. Er aber ver-
mochte plötzlich ihren Atem, welcher sein Gesicht,
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dem sie ihren Mund so nahe gebracht, umspielte,
nicht mehr zu ertragen. Die Berührung ihrer fieber-
heißen Hände war ihm unleidlich. Unfähig, seinen
Widerwillen zu verbergen, erhob er sich. Es gab
zwischen ihnen ein langes Schweigen, während des-
sen ihr verwirrter Blick, in dem sich wie eine kleine
Schlange ein feindliches Aufleuchten zeigte, nicht
von seiner Gestalt wich. Er warf kaum noch einige
gleichgiltige Bemerkungen hin, die sie unbeantwor-
tet ließ. Dann sah sie ihm, nun mit einem Ausdruck
wahren, tiefen Schmerzes nach, bis der Thürvorhang
hinter ihm zusammenfiel.
Was sie auch von dem Unglück, das für den Mann
wie für sie selbst das soeben Vorgefallene bedeutete,
ahnen mochte, so stellte sie sich doch kaum vor, wie
tief Wel kamp in Wirklichkeit davon berührt war. Es
kann nur ein ausnahmsweise starker Eindruck sein,
der Naturen wie die seine, wenig naiv und gewohnt,
Erlebnisse und Gefühle unmittelbar zu zergliedern,
in dem Grade betäubt, daß sie für Augenblicke ohne
die gewohnte Rechenschaft von sich selbst bleiben.
In der That war Wel kamp, ohne einen Gedanken zu
fassen, in sein Zimmer gegangen, wo er zufällig vor
den Spiegel getreten, zum erstenmal sein mattes, von
Zimmerluft, Mangel an körperlicher Bewegung, zu
viel innerer Unruhe und Leidenschaft gebleichtes
Gesicht aufmerksam betrachtete. Es fiel ihm ein, daß
er seit Wochen kaum anders als zu den nötigsten
Ausgängen den Fuß vors Haus gesetzt, und sogleich
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erfaßte ihn ein jäher Abscheu vor der eingeschlosse-
nen, unfreien, von ungesunden und verbrecherischen
Leidenschaften durchseuchten Existenz, die er schon
so lange führte. Eine dieser plötzlichen Visionen, in
denen unser Schicksal sich uns grausamerweise zu-
meist erst dann zu offenbaren pflegt, wenn wir be-
reits zu fest gekettet sind, um noch eine freie Bewe-
gung zu haben, zeigte ihm mit aller Deutlichkeit die
Einflüsse, die der enge Kreis, in welchem er sich be-
wegte, auf die Gestaltung seines Geschicks gewon-
nen, und die er bisher höchstens unklar geahnt. In
diesem Augenblicke schrieb er ohne Bedenken den
vier Wänden, in die er mit den drei, immer den drei
selben Menschen zusammen eingeschlossen gewe-
sen, die Verantwortung für alles Geschehene zu. Er
hatte eine bestimmte Idee davon, daß das Problema-
tische, das Unsichere und Zerstörende seiner Natur,
das ehemals auf seinem flüchtigen Wanderleben nur
hier und da zerstreute Spuren zurückgelassen hatte,
in der nunmehrigen engen und unvergänglichen Be-
grenzung seiner Existenz ganz andere, furchtbare
Wirkungen hatte hervorbringen müssen. Der Zer-
streuungen und Ablenkungen seiner früheren weiten
und wechselnden Beziehungen beraubt, hatte seine
Natur, ohne Ausweg aus dem geschlossenen Kreise
einer Familie, gleich Sprengstoff zu wirken begon-
nen. Nun stand er vor der Katastrophe.
Diese Vorstellung vollendete es, ihm den Aufent-
halt in den verhaßten vier Wänden unerträglich zu
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machen. In seiner Lage schien es ihm, als ob freie Luft
und Bewegung da draußen ein Heilmittel für Alles
sein müßten. Vor der Thüre stand er eine Zeitlang,
ohne den Pelz zu schließen, um den frischen Wind
besser gegen seine so lange nur mit eingeschlossener
Luft gespeiste Brust wehen zu lassen. Die Straße
hinab in die innere Stadt zu gehen, scheute er sich. Es
sollte recht weit, recht frei um ihn her sein, damit in
der Größe und Allgemeinheit der Natur sein Einzel-
leid und seine Einzelschuld unbemerkt untergehen
konnten. So schlug er den Weg ein, der ihn von der
Stadt entfernte und bald auf die Straße
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