In einer Familie
der ein so verzwei-
feltes Anzeichen für ihre unaufhaltsame, gänzliche
Entfernung war. Es war, als ob der Schmerz, der ihn
durchzuckte, die letzten Schleier von seinem Be-
wußtsein risse, das nunmehr die so lange nur ge-
fühlte Bedeutung des Geschehenen ausdrücklich zu
erfassen begann. Heute war es zuerst, daß der Zer-
störungsprozeß, der, seit er und Dora ihre schuldi-
gen Beziehungen geknüpft, ihre ganze Existenz be-
drohte, einen toten Punkt an ihrer Liebe, an ihrer so
teuer erkauften Liebe selbst gezeitigt hatte. Alles,
was sie bisher bestürmt, war dem gegenüber nichts:
das angstvolle, gejagte Dasein, das sie geführt, alle
die Umstände, die mit ihrem feindlichen Drängen
sie nur noch enger verbunden, und selbst der Haß,
unter dem sie ihr beiderseitiges Schuldgefühl ver-
borgen, war noch nichts; gibt es doch eine Liebe, von
der der Haß unzertrennlich ist. Wellkamp faßte
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kaum den Zusammenhang zwischen diesen früheren
Leidensstationen ihres Verhältnisses und der heute
erreichten; er wußte nur, daß seit heute ihre Intimi-
tät, so wie sie bisher bestanden, vernichtet und un-
möglich gemacht war. Und nun, da er sie zerstört
wußte, stand es ihm klar vor Augen, worin sie be-
standen und was es gewesen war, wodurch ihre
Liebe über eine bloß sinnliche Leidenschaft hinaus-
gehoben war.
Was ihn, unwiderstehlicher als irgend ein körper-
licher Reiz oder Begehren, zu Dora gezogen, war
etwas wie der Kultus einer heimlichen Schönheit ge-
wesen, die etwas im Alltagsleben Verbotenes ist,
auch wenn dieses sich in so gütiger und lieber Ge-
stalt zeigt, wie Anna ihm trotz al em im Innern stets
erschienen war. In Dora hatte er etwas wie das Inne-
werden seines eigenen tiefsten Wesens gesucht und
zugleich über sich selbst hinauszugreifen gedacht in
das übersinnliche Leben. Das übersinnliche Bedürf-
nis, das in seinem Gefühl eine Art Neugierde nach
den tiefsten Schauern, den letzten Geheimnissen
und den intimsten Grausamkeiten des Lebens war,
hatte von Anfang an gleichsam die Saite gebildet, die
aus ihrer Seele in die seine hinübergeleitet hatte. Er
erinnerte sich nach der Reihe aller Anlässe, bei de-
nen sie berührt worden war und sein ganzes Innere
erzittern gemacht hatte; so an jenem Tage, als von
dem in der Austeilung gesehenen, wunderbaren Ge-
mälde die Rede gewesen, oder während jenes »Tann-
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häuser«-Abends. Immer aber waren sie den Schau-
ern, die das Vibrieren der Saite in ihnen weckte,
schweigend unterworfen gewesen. Nichts schien
ihm jetzt so bedeutend als dieses Schweigen, das in
allen sehr erhobenen wie in den sehr versunkenen
Augenblicken ihrer Intimität zwischen ihnen ge-
herrscht. Es war so recht eine stumme Liebe gewe-
sen, die sie verbunden hatte! Darum war auch mit
dem Schweigen zugleich der Zauber gebrochen. Bei
der Erinnerung an die ungeschickte Urheberin der
Zerstörung ergriff ihn nun plötzlich hel er Zorn. »So
war dasjenige, womit sie in Wirklichkeit seinem so
unbestimmbar zarten und heimlichen Verlangen be-
gegnet war, nichts als ein gemeiner, plumper Aber-
glaube gewesen, den sie bei der ersten Gelegenheit,
wo sie sich von ihm für ihren sinnlichen Kitzel Vor-
teil versprochen, verraten hatte.«
Er fällte dies ungerechte, einseitige Urteil in gu-
tem Glauben, mit der unbewußten, innerlichen Pose
des nervösen, verweichlichten Mannes, der sich an
seelischer Kompliziertheit und Empfindlichkeit ge-
rade den Frauen überlegen finden möchte. Ohne
weiteres warf er nun der Frau, die doch, eine wie
kurze Zeit auch immer, der Wunsch und das Glück
seines Lebens gewesen, vor, ihn von Anfang an über
sich selbst getäuscht zu haben. Sie hatte ihn mit treu-
loser Benutzung seiner seelischen Bedürfnisse, de-
nen sie innerlich fern stand und in Wahrheit nichts
entgegenzubringen hatte, überlistet und gefangen.
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Und er – dies verfehlte er nicht, dieser für ihn selbst
nicht schmeichelhaften Behauptung hinzuzufügen –
er hatte sie benutzt als das »banale Instrument unter
seinem siegreichen Bogen«, wie ein von ihm bevor-
zugter Dichter es ausgedrückt.
»Und wie ein Lufthauch, der auf dem hohlen
Holze einer Guitarre den Klang weckt, so hab’ ich
meinen Traum auf Deinem leeren Herzen singen
lassen.« –
Es fehlte nicht viel, daß er kraft dieser Überlegung
die ganze Sache auf die leichte Achsel nahm. Er hatte
eine Enttäuschung mehr zu verzeichnen: was war da
weiter zu
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