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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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der ein so verzwei-
    feltes Anzeichen für ihre unaufhaltsame, gänzliche
    Entfernung war. Es war, als ob der Schmerz, der ihn
    durchzuckte, die letzten Schleier von seinem Be-
    wußtsein risse, das nunmehr die so lange nur ge-
    fühlte Bedeutung des Geschehenen ausdrücklich zu
    erfassen begann. Heute war es zuerst, daß der Zer-
    störungsprozeß, der, seit er und Dora ihre schuldi-
    gen Beziehungen geknüpft, ihre ganze Existenz be-
    drohte, einen toten Punkt an ihrer Liebe, an ihrer so
    teuer erkauften Liebe selbst gezeitigt hatte. Alles,
    was sie bisher bestürmt, war dem gegenüber nichts:
    das angstvolle, gejagte Dasein, das sie geführt, alle
    die Umstände, die mit ihrem feindlichen Drängen
    sie nur noch enger verbunden, und selbst der Haß,
    unter dem sie ihr beiderseitiges Schuldgefühl ver-
    borgen, war noch nichts; gibt es doch eine Liebe, von
    der der Haß unzertrennlich ist. Wellkamp faßte
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    kaum den Zusammenhang zwischen diesen früheren
    Leidensstationen ihres Verhältnisses und der heute
    erreichten; er wußte nur, daß seit heute ihre Intimi-
    tät, so wie sie bisher bestanden, vernichtet und un-
    möglich gemacht war. Und nun, da er sie zerstört
    wußte, stand es ihm klar vor Augen, worin sie be-
    standen und was es gewesen war, wodurch ihre
    Liebe über eine bloß sinnliche Leidenschaft hinaus-
    gehoben war.
    Was ihn, unwiderstehlicher als irgend ein körper-
    licher Reiz oder Begehren, zu Dora gezogen, war
    etwas wie der Kultus einer heimlichen Schönheit ge-
    wesen, die etwas im Alltagsleben Verbotenes ist,
    auch wenn dieses sich in so gütiger und lieber Ge-
    stalt zeigt, wie Anna ihm trotz al em im Innern stets
    erschienen war. In Dora hatte er etwas wie das Inne-
    werden seines eigenen tiefsten Wesens gesucht und
    zugleich über sich selbst hinauszugreifen gedacht in
    das übersinnliche Leben. Das übersinnliche Bedürf-
    nis, das in seinem Gefühl eine Art Neugierde nach
    den tiefsten Schauern, den letzten Geheimnissen
    und den intimsten Grausamkeiten des Lebens war,
    hatte von Anfang an gleichsam die Saite gebildet, die
    aus ihrer Seele in die seine hinübergeleitet hatte. Er
    erinnerte sich nach der Reihe aller Anlässe, bei de-
    nen sie berührt worden war und sein ganzes Innere
    erzittern gemacht hatte; so an jenem Tage, als von
    dem in der Austeilung gesehenen, wunderbaren Ge-
    mälde die Rede gewesen, oder während jenes »Tann-
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    häuser«-Abends. Immer aber waren sie den Schau-
    ern, die das Vibrieren der Saite in ihnen weckte,
    schweigend unterworfen gewesen. Nichts schien
    ihm jetzt so bedeutend als dieses Schweigen, das in
    allen sehr erhobenen wie in den sehr versunkenen
    Augenblicken ihrer Intimität zwischen ihnen ge-
    herrscht. Es war so recht eine stumme Liebe gewe-
    sen, die sie verbunden hatte! Darum war auch mit
    dem Schweigen zugleich der Zauber gebrochen. Bei
    der Erinnerung an die ungeschickte Urheberin der
    Zerstörung ergriff ihn nun plötzlich hel er Zorn. »So
    war dasjenige, womit sie in Wirklichkeit seinem so
    unbestimmbar zarten und heimlichen Verlangen be-
    gegnet war, nichts als ein gemeiner, plumper Aber-
    glaube gewesen, den sie bei der ersten Gelegenheit,
    wo sie sich von ihm für ihren sinnlichen Kitzel Vor-
    teil versprochen, verraten hatte.«
    Er fällte dies ungerechte, einseitige Urteil in gu-
    tem Glauben, mit der unbewußten, innerlichen Pose
    des nervösen, verweichlichten Mannes, der sich an
    seelischer Kompliziertheit und Empfindlichkeit ge-
    rade den Frauen überlegen finden möchte. Ohne
    weiteres warf er nun der Frau, die doch, eine wie
    kurze Zeit auch immer, der Wunsch und das Glück
    seines Lebens gewesen, vor, ihn von Anfang an über
    sich selbst getäuscht zu haben. Sie hatte ihn mit treu-
    loser Benutzung seiner seelischen Bedürfnisse, de-
    nen sie innerlich fern stand und in Wahrheit nichts
    entgegenzubringen hatte, überlistet und gefangen.
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    Und er – dies verfehlte er nicht, dieser für ihn selbst
    nicht schmeichelhaften Behauptung hinzuzufügen –
    er hatte sie benutzt als das »banale Instrument unter
    seinem siegreichen Bogen«, wie ein von ihm bevor-
    zugter Dichter es ausgedrückt.
    »Und wie ein Lufthauch, der auf dem hohlen
    Holze einer Guitarre den Klang weckt, so hab’ ich
    meinen Traum auf Deinem leeren Herzen singen
    lassen.« –
    Es fehlte nicht viel, daß er kraft dieser Überlegung
    die ganze Sache auf die leichte Achsel nahm. Er hatte
    eine Enttäuschung mehr zu verzeichnen: was war da
    weiter zu

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