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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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sondern sie
    selbst war es, die alle Hindernisse aus dem Wege
    räumte. Einmal fort aus dem erstickenden Kreise,
    konnten aus der Ferne die Beziehungen leicht voll-
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    ständig abgebrochen werden. Selbst wenn man sich
    später einmal wiedersehen müßte – die Zeit und das
    Vergessen würden dazwischen kommen. So konnte
    er dieser geliebten, gütigen Frau den Schmerz seines
    Geständnisses ersparen.
    Er sagte sich dies mit aufrichtiger Zärtlichkeit, in-
    dem er nach seiner gewöhnlichen Art die Sophismen
    seines Verstandes mit der Ehrlichkeit seines Gefühls
    für ihn selbst unentwirrbar verkettete.
    Noch einen Kuß auf ihre Hand drückend, sprach
    er einfach: »Ich danke Dir«, während er innerlich
    aufatmete:
    »So kann dennoch Alles gut werden.«
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    VIII
    Er irrte, und seine Hoffnung, es werde nun alles gut
    werden, war in dem Sinne wie er sie hegte, nicht er-
    füllbar. Wie mochte er glauben, seine so sehr gelok-
    kerten Beziehungen zu seiner Gattin ohne weiteres
    an dem Punkte wieder anknüpfen zu können, wo sie
    sich befanden, ehe sie durch das Erscheinen Doras
    geändert und verwirrt wurden. Dies mußte schon
    dadurch vereitelt werden, daß Anna, sobald sie ihre
    Intimität zu erneuern versuchen würden, in ihm
    nicht mehr den erkennen würde, der damals zuerst
    seine Hand in ihre bräutliche gelegt. Es war unver-
    meidlich, daß sie aus den mit ihm vorgegangenen
    Veränderungen auf geheime Erfahrungen schließen
    würde, die ihn ihr innerlich noch unendlich weiter
    entfremdet als im äußeren Verkehr. Denn wir durch-
    leben kein Ereignis, begehen keine Handlung, ja ma-
    chen kaum eine banale Bekanntschaft, ohne von ihr
    in irgend einer Hinsicht gebildet zu werden. Wir
    werden wir selbst erst durch das, was mit uns ge-
    schieht oder was wir thun, und unser Selbst befindet
    sich in fortwährendem Wechsel. Unsere geringste
    That wird sofort ein Stück von uns und unserm Le-
    ben, durch sich selbst und durch das, was sie hinter-
    läßt; durch ihre Folgen und Einflüsse: wie hätte eine
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    Reihe so bedeutender Handlungen und Erlebnisse,
    wie die in Wel kamps Leben durch sein Verhältnis zu
    Dora hervorgerufenen, jemals ihre Bestimmung ver-
    fehlen können. Man geht nicht durch das Feuer einer
    Leidenschaft, ohne in irgend einem Sinne von ihm
    ungeschmiedet zu werden.
    Sei es aber auch, daß Anna durch eine, vielleicht
    nicht unedle, Eigentümlichkeit ihres Charakters und
    ihrer innern Lebensweise daran verhindert worden
    wäre, Ahnung und Einsicht in das ihr Verheimlichte
    zu erlangen, so wäre jenes Beginnen darum nicht
    weniger umsonst gewesen. Er selbst hätte sich gegen
    al sein Bemühen immer an einem Glücke gehindert,
    das auf einem Grunde von Täuschungen und Schuld
    hätte ruhen müssen. Das Vertrauen und die Liebko-
    sungen seiner reinen Gattin hätte er niemals ohne
    Bangen und Widerstreben zugleich ertragen, da er
    sie nicht verdiente, und da sie nicht dem galten, der
    er war. Um sie froh genießen zu können, hätte er die
    beschränkte und glückliche Brutalität der Männer
    haben müssen, die, in zeitweiligem Überdruß, ihre
    Frau zu betrugen, zu ihr zurückgekehrt, schon zu-
    frieden sind, wenn sie ihrer Ahnungslosigkeit ver-
    sichert sind. Dagegen hätte seine gern sich aus-
    dehnende und mitteilende Natur eben an ihrer
    Ahnungslosigkeit Anstoß genommen, und er wäre
    niemals über seinen Wunsch hinweggekommen,
    nicht so von seiner Gattin geliebt zu werden, wie sie
    ihn sich vorstel te, sondern so, wie er war, mit seinen
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    Fehlern und mit seiner Vergangenheit. So wäre eine
    dauernde Zufriedenheit gerade durch das Feinere
    und darum auch Bessere in seiner Natur ausge-
    schlossen worden. Sind es nicht in solcher Weise
    häufig eben unsere Tugenden, welche die Folgen un-
    serer Fehler erst recht grausam machen?
    Wenn daher die entschiedene Abrechung über al-
    les Geschehene, die er so gern vermieden gesehen
    hätte, auf alle Fälle bevorstand, so wäre sie doch si-
    cherlich durch eine sofortige Entfernung um unbe-
    stimmte Zeit verzögert worden. Da indes teils der
    noch recht rauhen Witterung wegen, teils aus Rück-
    sicht auf den Major, der sich nur schwer an den Ge-
    danken einer Trennung von seiner Tochter gewöh-
    nen würde, ihre Abreise von Anna auf vier Wochen
    hinausgeschoben worden, so blieb es wahr, daß der
    enge Kreis, der sich nach wie vor um ihn, seine Mit-
    schuldige und die von ihnen Hintergangenen schloß,
    seine treibende, beschleunigende Wirkung auf

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