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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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besser
    bethört«, sagte er sich mit Bitterkeit. Nach jedem
    Stücke sah er sie dankbar ihrem Gatten zulächeln,
    der ihr, da die beiden Andern schwiegen, als der,
    welcher aufgefordert, wohl einige Artigkeiten sagen
    mußte: jetzt war das alles für ihn berechnet, dachte
    Wellkamp. Das letzte war jenes »Lied der Gha-
    wâze,« in dessen Vortrag er diesmal, vielleicht nur
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    von seiner eigenen Stimmung hinzugefügt, noch
    mehr Ausdruck zu finden meinte, als damals. Auf-
    blickend gewahrte er wieder wie damals über ihr
    mattblondes Haar die Lichtreflexe spielen, die er so
    oft mit seinen Lippen verfolgt hatte, und auf ihren
    Wangen sah er dieselbe leichte, wie angehauchte
    Röte liegen wie einst, als sie ihm, nur ihm al ein ihre
    Liebe sang.
    »Komödiantin!«
    Er fuhr erschreckt zusammen, in Zweifel, ob das
    Wort etwa gehört sei. Aber es war ihm nur wie ein
    Seufzer entfahren. Er war sehr blaß geworden und es
    schwindelte ihm, so daß er sich ohne Weigerung von
    Anna, die seinen Arm fest in dem ihren hielt, hinaus-
    geleiten ließ. Es war nur Dora da, um zu bemerken,
    wie Herr v. Grubeck den Beiden mit einem Aus-
    druck nachsah, in welchem Bitterkeit und Mitleid
    mit einer tiefen, peinigenden Ratlosigkeit gemischt
    erschienen.
    Die Nacht brachte Wellkamp unter dem inneren
    Aufruhr zu, den diese für sein Gefühl abscheuliche,
    frevelhafte Scene hervorgerufen. Durch lange Stun-
    den fand er immer nur den einen, verzweifelt wie-
    derholten Ausruf, den er in den Kissen erstickte: »Es
    ist unerträglich! Es ist unerträglich!« Was? und
    warum? hätte er entweder nicht zu sagen gewußt
    oder er mochte es sich nicht gestehen. Und eben we-
    gen ihrer Unvernünftigkeit war er gegen die Forde-
    rungen seines Instinkts um so ohnmächtiger. Was
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    ihm einst als großes und unvergängliches Glück er-
    schienen und was in jedem Falle eine starke Leiden-
    schaft gewesen, nun mit so dumpfer Ruhe ersticken,
    von Heuchelei und Gleichgiltigkeit langsam, lang-
    sam zugedeckt werden zu sehen, war ihm in Wahr-
    heit das Unerträglichste. Und in langen Stunden be-
    festigte sich seine Sehnsucht nach einem heftigen
    Ausbruch aller Feindseligkeit und Eifersucht, nach
    einer großer Abrechnung.
    Als er am Morgen, noch immer mit starr gegen die
    Decke gerichteten Augen auf dem Rücken liegend,
    die Thür leise öffnen hörte, wandte er sich unwill-
    kürlich und schnell ab, um sich schlafend zu stellen.
    Kaum wußte er Anna wieder aus dem Gemache ent-
    fernt, als er sich im Bette emporwarf, angestrengt
    horchend, ob seine Gattin mit ihrem Vater das Haus
    verlasse. Nun hörte er ihre Schritte, die sich abwärts
    entfernten, und war auch schon aufgesprungen, sich
    eilig in seine Kleider zu werfen. Zwei Minuten später
    stand er in ihrem kleinen Gemache seiner bisherigen
    Geliebten gegenüber.
    Dora war selbst kaum eingetreten, sie war im Be-
    griffe, fröstelnd sich vor dem Kamin zurechtzurük-
    ken. Als sie ihn in einer Verfassung, welche die
    Kämpfe der vergangenen Nacht bezeugte, bleich,
    der Blick starr, Haar und Kleider in Unordnung, auf
    sich zu stürzen sah, hatte sie jenen in hochmütigem
    Triumph abweisenden Blick der Frau, die ihre innere
    Erregung bei der Rückkehr eines treulosen Gelieb-
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    ten verbergen will. Von einem spöttischen Lächeln
    halb verdeckt, war dennoch eine kleine leidenschaft-
    liche Bewegung ihrer Lippen bemerkbar, als hielte
    sie den Ausruf zurück: »Du liebst mich noch!«
    Nein, er liebte sie nicht mehr, er dachte in diesem
    Augenblick an nichts weniger als daran, daß er sie je-
    mals geliebt. Ihr Empfang hatte, indem er ihm noch
    einmal ihre heuchlerische Ableugnung al er ihrer ge-
    meinsamen Beziehungen zu bekunden schien, seine
    Wut erhöht. Er empfand nichts mehr, als das Be-
    dürfnis, sie, bevor er sie verließe, zu erniedrigen, wie
    noch nie eine Frau erniedrigt wäre. Sein Taumel ging
    bis zur Selbstvernichtungslust, er hatte Alles verges-
    sen, was ihn von dieser Frau trennen mußte, was ihm
    die Zukunft lieb und wünschenswert machte, Anna
    selbst. Sie sollte sehen, daß er nach wie vor die rück-
    sichtsloseste Gewalt über sie besaß, und er warf sich
    auf sie, die durch seine verzerrte Miene, seinen ab-
    wesenden Blick erschreckt und vorbereitet, ihn mit
    aller Kraftanstrengung von sich stieß. Durch den er-
    littenen Stoß halb ernüchtert, begann er nun, ihr ei-
    nen Haufen entwürdigender Ausdrücke in Gesicht
    zu werfen.
    »Du – Du widerstehst mir, Du wagst mir zu

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