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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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aufrichtig war,
    hätte bestärken müssen. Es war kein Zweifel, daß
    seine Eitelkeit verletzt war, die Eitelkeit des Liebha-
    bers, der nicht dulden mag, daß die von ihm verlas-
    sene Frau sich allzu schnell über ihn tröste. Wenn er
    schon sich selbst auch innerlich von ihr losgesagt ha-
    ben wollte, so hätte er doch gewünscht, sie gekränk-
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    ter, leidender zu sehen. Noch verletzender für seine
    Eigenliebe war der Gedanke daran, mit wessen Hilfe
    sie seinen Verlust zu verschmerzen gedachte. So galt
    also er ihr nicht mehr als dieser alte, von ihm kaum je
    beachtete Mann! Denn er glaubte zu bemerken, daß
    sich Dora mehr als je früher mit ihrem Gatten be-
    schäftigte. Es war, als bereitete sie sich schon darauf
    vor, für die Zukunft, die sie allein in seiner Gesell-
    schaft leben sollte, eine größere Intimität zwischen
    ihnen herzustellen. Sie schien ihm dabei nahezu
    aufdringlich vorzugehen, so daß sich Herr v. Gru-
    beck mit einer an ihm längst nicht mehr wahrgenom-
    menen Regung von Selbständigkeit ihrer Annähe-
    rung entzog. Auch kam Wel kamp einmal über einen
    Wortwechsel hinzu, in dem seine Gattin gegen Frau
    v. Grubeck das Recht verteidigte, in ihres Vaters
    Zimmer aufzuräumen, den Schreibtisch von Staub
    zu befreien und die übrigen dort stets von ihr geüb-
    ten Geschäfte zu verrichten, welche nun plötzlich
    von Dora in Anspruch genommen wurden. Solche
    Vorfälle versetzten ihn in eine gehässige, zu eigener
    und anderer Schädigung und Verwundung treibende
    Aufregung. Im Sturm war er abermals von der Eifer-
    sucht auf den Gatten erobert, die er während seines
    Lebens trotz aller Reflexion noch niemals in dem
    Falle, verleugnen zu können gewesen war. Sie mußte
    ihm eingeboren sein, wenn er sich auch hier, bei der
    ihr unter den vorhandenen Umständen innewoh-
    nenden Lächerlichkeit, von ihr überwältigen ließ;
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    zugleich aber war sie jetzt gefährlicher, zerstöreri-
    scher als gewöhnlich, da es Eifersucht ohne Liebe
    war, einem Feuer vergleichbar, das unter einem lee-
    ren Kessel entzündet ist. So bedurfte es nur noch
    eines geringen Vorfal s für seinen Zustand, um einen
    gewaltsamen Ausbruch herbeizuführen.
    Es war an einem Abend, als man, zu früh mit der
    Mahlzeit fertig, um sich schon zurückzuziehen,
    noch in Doras Boudoir hinübergegangen war. Indes
    wollte keine rechte Unterhaltung zustande kom-
    men, hauptsächlich durch Schuld des Majors, der be-
    reits bei Tische in gereiztem, merklich störendem
    Schweigen verharrt hatte. Wellkamp begann den al-

ten Mann, der mit seinen greisenhaften Leiden seine
    Umgebung nervös machte, vollends unleidlich zu
    finden. Endlich jedoch, als zufäl ig mit ein paar Wor-
    ten von Musik die Rede gewesen war, machte Herr v.
    Grubeck, vielleicht nur, um seine üble Stimmung
    nicht zu auffällig werden zu lassen, ein Vorschlag.
    »Du könntest uns etwas Musik machen,« sagte er
    zu Dora gewendet.
    Wellkamps immer auf der Lauer befindliche Lei-
    denschaft erhielt neue Nahrung, als er die junge Frau
    ohne weiteres annehmen sah. Sie hatte bisher in den
    seltensten Fällen, selbst wenn er zur Zeit ihres
    glücklichsten Verhältnisses darum gebeten, einge-
    willigt, in Gesellschaft zu spielen. Sie hatte ihm ge-
    sagt, sie könne nur in Gegenwart eines einzigen, nur
    in der Gegenwart dessen spielen, dem sie etwas zu
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    sagen habe. Sie fühle dann, wie er ihr im Herzen er-
    widere, und so sei die Musik für sie ein Liebesaus-
    tausch wie ein anderer.
    Es traf sich, daß Dora an diesem Abend, der Be-
    quemlichkeit halber, wie sie sagte, jenes hell-violette
    Gewand angelegt, das mit dem Ton des Musikzim-
    mers harmonierte und das sie an jenem ersten Mor-
    gen ihrer Intimität getragen. Schon dies erschien
    dem Eifersüchtigen als Entweihung, ja Beleidigung,
    und er überlegte, während er als der Letzte hinüber-
    ging, ob es würdiger wäre, der Schamlosen, wie er sie
    nannte, dadurch seine Nichtachtung zu bezeigen,
    daß er sich sogleich verabschiedete. Aber er brachte
    es, mit der schrecklichen Neugierde des Leidens,
    nicht über sich, seine Pein abzukürzen, und blieb. Er
    saß in sich versunken an Annas Seite, ohne zu füh-
    len, wie die junge Frau ihn berührte, um ihn näher an
    sich zu ziehen, als fürchtete sie von der Musik und
    zumal von derjenigen, welche Dora wählte, einen
    schlimmen Einfluß auf seine Erregbarkeit. Und so
    hörte er Dora nun dieselben Lieder singen, die sie
    ehemals für ihn gehabt, »mit denen sie ihn

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