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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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die
    notwendige Entwickelung der Ereignisse ausübte.
    Durch die Reibungen des alltäglichen Verkehrs,
    durch die tausend Kleinlichkeiten des engen Zusam-
    menlebens wurden bei seinem nervösen, noch mehr
    als sonst empfänglichen Zustande seine Empfindun-
    gen erhitzt und, ehe er sich dessen versah, zu Ge-
    waltsamkeiten gereizt.
    Eine von vornherein unnatürliche Ruhe war über
    die nächsten Tage gebreitet, nachdem Wel kamp aus
    jener bewegten Unterredung mit seiner Gattin her-
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    vorgegangen. Durch jene halbe, erfolglose Ausspra-
    che meinte er nun wirklich von dem so lange erlitte-
    nen Druck befreit, allem bisher für ihn Verhängnis-
    vollen bereits entrückt und unzugänglich gemacht
    zu sein, und suchte sich dies auf jede Art zu bewei-
    sen. Er blieb jetzt häufig, besonders in den Abend-
    stunden, die er in letzter Zeit, durch seine Nervosität
    entschuldigt, meist allein auf seinem Zimmer ver-
    bracht, mit den beiden Frauen in Unterhaltung zu-
    sammen; Herr v. Grubeck, der neuerdings wieder
    über rheumatische Schmerzen klagte, pflegte sich
    früh zurückzuziehen, nachdem er tagsüber meist
    einsilbig gewesen. Mit dem durch Trotz und Selbst-
    täuschung unterhaltenen Anspruch, seine Beziehun-
    gen zu Dora unmittelbar als nichtig zu betrachten,
    sie am liebsten völlig zu verleugnen, richtete er nun
    zuweilen das Wort an seine bisherige Geliebte mit ei-
    ner Gleichgiltigkeit und Sicherheit, mit welcher etwa
    der Schlafwandelnde über die gefährlichsten Stellen
    schreitet, als befände er sich auf ebenem Wege, und
    durch welche die junge Frau selbst anfänglich ge-
    täuscht werden mußte. Bei der Zunahme dieser Nei-
    gung zog er bald auch die bevorstehende Reise ins
    Gespräch, über die er bisher mit Anna sich wenig
    unterhalten, und die er vor Dora instinktiv noch un-
    erwähnt gelassen. Sie waren eines Abends im Speise-
    zimmer, das der Major bereits verlassen, eine Weile
    schweigend sitzen geblieben, als Wellkamp ohne
    Übergang begann:
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    »Es ist doch sonderbar, daß wir noch gar nicht das
    Ziel unserer Reise überlegt haben. Man sollte glau-
    ben, wir wol ten so planlos in der Welt herumfahren.
    Wenn wir aber einen dauernden Aufenthalt beab-
    sichtigen, muß er mit allem Bedacht ausgewählt wer-
    den. Es gibt dabei für Zwei noch mehr zu überlegen,
    als für Einen.«
    »Ich überlasse Dir gern die Wahl; ich werde mich
    überall einleben,« bemerkte Anna.
    »Dann würde ich es für einen passenden Einfall
    halten, nach Kreuth zurückzugehen. Man sollte auf
    die Orte, an denen man liebe Erinnerungen hat, im-
    mer aufs neue zurückkommen. Sie geben einem
    gleichsam Mut und guten Zuspruch wie ein lieber
    Bekannter.«
    Er hatte während dieser Worte, um sich besser der
    Versuchung, dabei nach Dora hinüberzusehen, zu
    erwehren, den Kopf leicht in die Hand gestützt und
    völlig zu Anna hinübergewendet. Diese senkte unter
    seinem Blick mädchenhaft errötend die Stirn. Ein
    unbestimmtes, ihr selbst nicht erklärliches Schamge-
    fühl verbot ihr, die Zärtlichkeit, welche die Worte
    des Gatten in ihr erregten, in Gegenwart dieser Frau
    merken zu lassen. So blieb es einen Augenblick still,
    bis sich unerwartet die ganz ruhige Stimme Doras
    hören ließ.
    »Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte, so
    wüßte ich nichts besseres zu empfehlen, als den
    Genfer See. Ich war mit meinem Vater einmal gerade
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    in jetziger Jahreszeit dort und vergesse nie diesen
    entzückenden Frühling.«
    »Aber daß ich daran nicht gedacht habe!« fiel
    Wellkamp, sich umwendend, hastig ein.
    »Es gibt ja keine so ideale Frühlingslandschaft als
    das schöne Land von Waadt, besonders die Gegend
    von Montreux und dann das unvergleichliche kleine
    Ouchy mit seinen zackigen Quais am Fuße der
    Weinhügel.«
    Er erging sich in einer Beschreibung der Gegend
    und erreichte wirklich damit, das Gespräch in Fluß
    zu bringen und seine augenblickliche Verlegenheit
    zu verdecken. Als man sich trennte, meinte er, ohne
    nachhaltigen Eindruck von dieser Scene geblieben
    zu sein. Sie hatte aber dennoch ihren Stachel in ihm
    zurückgelassen, den er bald genug fühlen sollte.
    Seine unangenehme, fast peinliche Überraschung,
    als er Dora auf die unvermutete Ankündigung seiner
    baldigen Abreise so unbewegt hatte erwidern hören,
    wiederholte sich bei anderen Gelegenheiten sehr
    verstärkt. Der instinktiven Regung gegenüber war er
    machtlos; er mißgönnte ihr diese innere Ruhe, wie-
    wohl sie ihn in der seinigen, fal s diese

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