In einer Familie
die
notwendige Entwickelung der Ereignisse ausübte.
Durch die Reibungen des alltäglichen Verkehrs,
durch die tausend Kleinlichkeiten des engen Zusam-
menlebens wurden bei seinem nervösen, noch mehr
als sonst empfänglichen Zustande seine Empfindun-
gen erhitzt und, ehe er sich dessen versah, zu Ge-
waltsamkeiten gereizt.
Eine von vornherein unnatürliche Ruhe war über
die nächsten Tage gebreitet, nachdem Wel kamp aus
jener bewegten Unterredung mit seiner Gattin her-
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vorgegangen. Durch jene halbe, erfolglose Ausspra-
che meinte er nun wirklich von dem so lange erlitte-
nen Druck befreit, allem bisher für ihn Verhängnis-
vollen bereits entrückt und unzugänglich gemacht
zu sein, und suchte sich dies auf jede Art zu bewei-
sen. Er blieb jetzt häufig, besonders in den Abend-
stunden, die er in letzter Zeit, durch seine Nervosität
entschuldigt, meist allein auf seinem Zimmer ver-
bracht, mit den beiden Frauen in Unterhaltung zu-
sammen; Herr v. Grubeck, der neuerdings wieder
über rheumatische Schmerzen klagte, pflegte sich
früh zurückzuziehen, nachdem er tagsüber meist
einsilbig gewesen. Mit dem durch Trotz und Selbst-
täuschung unterhaltenen Anspruch, seine Beziehun-
gen zu Dora unmittelbar als nichtig zu betrachten,
sie am liebsten völlig zu verleugnen, richtete er nun
zuweilen das Wort an seine bisherige Geliebte mit ei-
ner Gleichgiltigkeit und Sicherheit, mit welcher etwa
der Schlafwandelnde über die gefährlichsten Stellen
schreitet, als befände er sich auf ebenem Wege, und
durch welche die junge Frau selbst anfänglich ge-
täuscht werden mußte. Bei der Zunahme dieser Nei-
gung zog er bald auch die bevorstehende Reise ins
Gespräch, über die er bisher mit Anna sich wenig
unterhalten, und die er vor Dora instinktiv noch un-
erwähnt gelassen. Sie waren eines Abends im Speise-
zimmer, das der Major bereits verlassen, eine Weile
schweigend sitzen geblieben, als Wellkamp ohne
Übergang begann:
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»Es ist doch sonderbar, daß wir noch gar nicht das
Ziel unserer Reise überlegt haben. Man sollte glau-
ben, wir wol ten so planlos in der Welt herumfahren.
Wenn wir aber einen dauernden Aufenthalt beab-
sichtigen, muß er mit allem Bedacht ausgewählt wer-
den. Es gibt dabei für Zwei noch mehr zu überlegen,
als für Einen.«
»Ich überlasse Dir gern die Wahl; ich werde mich
überall einleben,« bemerkte Anna.
»Dann würde ich es für einen passenden Einfall
halten, nach Kreuth zurückzugehen. Man sollte auf
die Orte, an denen man liebe Erinnerungen hat, im-
mer aufs neue zurückkommen. Sie geben einem
gleichsam Mut und guten Zuspruch wie ein lieber
Bekannter.«
Er hatte während dieser Worte, um sich besser der
Versuchung, dabei nach Dora hinüberzusehen, zu
erwehren, den Kopf leicht in die Hand gestützt und
völlig zu Anna hinübergewendet. Diese senkte unter
seinem Blick mädchenhaft errötend die Stirn. Ein
unbestimmtes, ihr selbst nicht erklärliches Schamge-
fühl verbot ihr, die Zärtlichkeit, welche die Worte
des Gatten in ihr erregten, in Gegenwart dieser Frau
merken zu lassen. So blieb es einen Augenblick still,
bis sich unerwartet die ganz ruhige Stimme Doras
hören ließ.
»Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte, so
wüßte ich nichts besseres zu empfehlen, als den
Genfer See. Ich war mit meinem Vater einmal gerade
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in jetziger Jahreszeit dort und vergesse nie diesen
entzückenden Frühling.«
»Aber daß ich daran nicht gedacht habe!« fiel
Wellkamp, sich umwendend, hastig ein.
»Es gibt ja keine so ideale Frühlingslandschaft als
das schöne Land von Waadt, besonders die Gegend
von Montreux und dann das unvergleichliche kleine
Ouchy mit seinen zackigen Quais am Fuße der
Weinhügel.«
Er erging sich in einer Beschreibung der Gegend
und erreichte wirklich damit, das Gespräch in Fluß
zu bringen und seine augenblickliche Verlegenheit
zu verdecken. Als man sich trennte, meinte er, ohne
nachhaltigen Eindruck von dieser Scene geblieben
zu sein. Sie hatte aber dennoch ihren Stachel in ihm
zurückgelassen, den er bald genug fühlen sollte.
Seine unangenehme, fast peinliche Überraschung,
als er Dora auf die unvermutete Ankündigung seiner
baldigen Abreise so unbewegt hatte erwidern hören,
wiederholte sich bei anderen Gelegenheiten sehr
verstärkt. Der instinktiven Regung gegenüber war er
machtlos; er mißgönnte ihr diese innere Ruhe, wie-
wohl sie ihn in der seinigen, fal s diese
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