In einer Familie
Zusammenlebens mit seiner
Gattin verleidet wurde. Sobald mit Annas Fortgang
die Aufsicht und Sorgfalt verschwunden, war natür-
licherweise die Bedienung nachlässiger geworden.
Doras Indolenz ließ die Räume selbst bald unwohn-
lich werden. In dem Zimmer ihres Vaters war Anna
gewohnt gewesen, persönlich Ordnung zu halten;
nur so konnte die Unordnung des alten Herrn kor-
rigiert werden, und jetzt fand sich hierfür keine
Hand. Die langen Nachmittage, die der Major sonst
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hier auf seine künstlerischen Lieblingsbeschäftigun-
gen verwandt hatte, brachte er nun meist außer
Hause zu. Er, der seit seiner Verheiratung kaum ir-
gendwelche Verbindungen unterhalten, knüpfte
jetzt die Beziehungen zu verschiedenen am Platze
lebenden, ehemaligen Kameraden wieder an. In
einen Klub eingeführt, gewöhnte er sich bald, hier
auch seine Mahlzeiten einzunehmen. Bloß um die
Kommentare der Bekannten zu vermeiden, speiste
er von Zeit zu Zeit zu Hause, dann jedoch zu ande-
rer Stunde als seine Gattin.
Die gänzliche Einsamkeit, in der sie so gelassen
war, mußte für Dora verhängnisvoll werden, denn
sie bewirkte, daß ihre noch immer wie niederge-
schmetterten und betäubten Gedanken, sobald sie
sich sammelten und klärten, genau an dem Punkte
ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten, wo sie sie
liegen gelassen, da nichts sie durchkreuzte und ihnen
eine andere Richtung gab. Zwar war es fürs erste
nicht so weit, und die junge Frau that selbst un-
bewußt alles mögliche, um das Erwachen zu ver-
zögern. Das wiederholte Anraten des Arztes von
Bewegung in freier Luft lehnte sie jedesmal entschie-
den ab. Sie war nicht einmal zu einer Ausfahrt zu be-
wegen. Sie blieb vor ihrem Kamin sitzen, in welchem
trotz des herrlichsten Frühlingswetters das ge-
wohnte Feuer brannte, und wenn sie ihre ausge-
streckte Hand betrachtete, so sah sie die Flamme
hindurchscheinen. Unterdessen mühte sich hinter
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ihrer wachsbleichen Stirn ein Gehirn, das zu wenig
Blutnahrung erhielt, an der langsamen und be-
schwerlichen Arbeit des Erinnerns ab. Viele Wochen
war es nichts als eine gegenstandslose Unruhe, die
sie bisweilen ohne Absicht aufstehen ließ, um mit
kurzen und unsicheren Schritten, als suchte sie et-
was, durch das Zimmer hin und wieder zu gehen.
Die dumpfe Stille um sie her und in ihrem Innern
begann sie zu quälen. Es regte sich bereits wieder der
ihr so natürliche Trieb, sich und andere mit den Ir-
rungen und Launen ihres Gefühls leiden zu machen,
dieses Bedürfnis nach Aufregungen, zu denen
gleichwohl ihre kaum genesende Natur noch unfä-
hig war. Mit der Bewegung und mit der vermehrten
Anstrengung ihres Geistes schienen indes ihre ner-
vösen Kräfte zu wachsen. Ihr Schritt wurde hastiger,
während sie von Zimmer zu Zimmer ging, hier und
da stehen bleibend, um irgend etwas gedankenlos zu
berühren, eine beliebige Kleinigkeit in ihren flüchti-
gen, leis zitternden Fingern zu zerbrechen. Einmal
verirrte sie sich so, ohne zu wissen warum, in das
Zimmer ihres Gatten, in welchem sie anfänglich
fremd und gleichgiltig umhersah. Dann glitten ihre
Hände mechanisch über die Haufen von bestaubten
Papieren, die den Schreibtisch bedeckten, Skizzen-
blätter, Briefe, Rechnungen. Sie berührte sie viel-
leicht zum erstenmale, und niemals hatte sie absicht-
lich einen Blick hineingethan. Der Stolz, den Jeder
sich den Bedürfnissen seiner Natur entsprechend
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bildet, war in ihr derart, daß er sie stets von al em zu-
rückgehalten hatte, was an Spionage erinnerte. Es ist
wahr, daß ihr dies durch die Gleichgiltigkeit, welche
sie allen Angelegenheiten ihres Gatten entgegen-
brachte, erleichtert worden war. Auch jetzt dachte
sie nicht an den Inhalt dessen was sie sah. Sie ward
erst aufmerksam, als sie auf einem der Bögen die
Schrift Annas zu bemerken meinte. Im ersten Au-
genblick beachtete sie nichts als das große und starke
Papier, von einer Art, wie nur Männer es zu benut-
zen pflegen. Dann riß sie das Blatt mit einer heftigen
Bewegung an sich und floh damit wie mit einer
heimlichen Beute, halb von einer unbestimmten Ah-
nung, halb von Scham getrieben. Einmal wieder auf
ihrem Platze, röteten sich ihre Wangen mit einer un-
gesunden Röte, weit weniger durch die Hitze des
Feuers, dem sie sie, in die Hand gestützt, ganz nahe
gebracht hatte, als infolge der Lektüre des Briefes,
über dessen feste, gleichmäßige Züge ihr Blick, ohne
ein einziges Mal
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