Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
Vom Netzwerk:
Zusammenlebens mit seiner
    Gattin verleidet wurde. Sobald mit Annas Fortgang
    die Aufsicht und Sorgfalt verschwunden, war natür-
    licherweise die Bedienung nachlässiger geworden.
    Doras Indolenz ließ die Räume selbst bald unwohn-
    lich werden. In dem Zimmer ihres Vaters war Anna
    gewohnt gewesen, persönlich Ordnung zu halten;
    nur so konnte die Unordnung des alten Herrn kor-
    rigiert werden, und jetzt fand sich hierfür keine
    Hand. Die langen Nachmittage, die der Major sonst
    264
    hier auf seine künstlerischen Lieblingsbeschäftigun-
    gen verwandt hatte, brachte er nun meist außer
    Hause zu. Er, der seit seiner Verheiratung kaum ir-
    gendwelche Verbindungen unterhalten, knüpfte
    jetzt die Beziehungen zu verschiedenen am Platze
    lebenden, ehemaligen Kameraden wieder an. In
    einen Klub eingeführt, gewöhnte er sich bald, hier
    auch seine Mahlzeiten einzunehmen. Bloß um die
    Kommentare der Bekannten zu vermeiden, speiste
    er von Zeit zu Zeit zu Hause, dann jedoch zu ande-
    rer Stunde als seine Gattin.
    Die gänzliche Einsamkeit, in der sie so gelassen
    war, mußte für Dora verhängnisvoll werden, denn
    sie bewirkte, daß ihre noch immer wie niederge-
    schmetterten und betäubten Gedanken, sobald sie
    sich sammelten und klärten, genau an dem Punkte
    ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten, wo sie sie
    liegen gelassen, da nichts sie durchkreuzte und ihnen
    eine andere Richtung gab. Zwar war es fürs erste
    nicht so weit, und die junge Frau that selbst un-
    bewußt alles mögliche, um das Erwachen zu ver-
    zögern. Das wiederholte Anraten des Arztes von
    Bewegung in freier Luft lehnte sie jedesmal entschie-
    den ab. Sie war nicht einmal zu einer Ausfahrt zu be-
    wegen. Sie blieb vor ihrem Kamin sitzen, in welchem
    trotz des herrlichsten Frühlingswetters das ge-
    wohnte Feuer brannte, und wenn sie ihre ausge-
    streckte Hand betrachtete, so sah sie die Flamme
    hindurchscheinen. Unterdessen mühte sich hinter
    265
    ihrer wachsbleichen Stirn ein Gehirn, das zu wenig
    Blutnahrung erhielt, an der langsamen und be-
    schwerlichen Arbeit des Erinnerns ab. Viele Wochen
    war es nichts als eine gegenstandslose Unruhe, die
    sie bisweilen ohne Absicht aufstehen ließ, um mit
    kurzen und unsicheren Schritten, als suchte sie et-
    was, durch das Zimmer hin und wieder zu gehen.
    Die dumpfe Stille um sie her und in ihrem Innern
    begann sie zu quälen. Es regte sich bereits wieder der
    ihr so natürliche Trieb, sich und andere mit den Ir-
    rungen und Launen ihres Gefühls leiden zu machen,
    dieses Bedürfnis nach Aufregungen, zu denen
    gleichwohl ihre kaum genesende Natur noch unfä-
    hig war. Mit der Bewegung und mit der vermehrten
    Anstrengung ihres Geistes schienen indes ihre ner-
    vösen Kräfte zu wachsen. Ihr Schritt wurde hastiger,
    während sie von Zimmer zu Zimmer ging, hier und
    da stehen bleibend, um irgend etwas gedankenlos zu
    berühren, eine beliebige Kleinigkeit in ihren flüchti-
    gen, leis zitternden Fingern zu zerbrechen. Einmal
    verirrte sie sich so, ohne zu wissen warum, in das
    Zimmer ihres Gatten, in welchem sie anfänglich
    fremd und gleichgiltig umhersah. Dann glitten ihre
    Hände mechanisch über die Haufen von bestaubten
    Papieren, die den Schreibtisch bedeckten, Skizzen-
    blätter, Briefe, Rechnungen. Sie berührte sie viel-
    leicht zum erstenmale, und niemals hatte sie absicht-
    lich einen Blick hineingethan. Der Stolz, den Jeder
    sich den Bedürfnissen seiner Natur entsprechend
    266
    bildet, war in ihr derart, daß er sie stets von al em zu-
    rückgehalten hatte, was an Spionage erinnerte. Es ist
    wahr, daß ihr dies durch die Gleichgiltigkeit, welche
    sie allen Angelegenheiten ihres Gatten entgegen-
    brachte, erleichtert worden war. Auch jetzt dachte
    sie nicht an den Inhalt dessen was sie sah. Sie ward
    erst aufmerksam, als sie auf einem der Bögen die
    Schrift Annas zu bemerken meinte. Im ersten Au-
    genblick beachtete sie nichts als das große und starke
    Papier, von einer Art, wie nur Männer es zu benut-
    zen pflegen. Dann riß sie das Blatt mit einer heftigen
    Bewegung an sich und floh damit wie mit einer
    heimlichen Beute, halb von einer unbestimmten Ah-
    nung, halb von Scham getrieben. Einmal wieder auf
    ihrem Platze, röteten sich ihre Wangen mit einer un-
    gesunden Röte, weit weniger durch die Hitze des
    Feuers, dem sie sie, in die Hand gestützt, ganz nahe
    gebracht hatte, als infolge der Lektüre des Briefes,
    über dessen feste, gleichmäßige Züge ihr Blick, ohne
    ein einziges Mal

Weitere Kostenlose Bücher