In einer Familie
anzuhalten, hinjagte. So mag Je-
mand, den man seiner zerstörenden Leidenschaft
eine kurze Weile entrissen hatte, das Glas, dessen er
sich zum erstenmale wieder bemächtigt, auf einen
Zug leeren. Mit solcher krampfhaften Wollust
durchtränkte sie sich endlich wieder mit ihrem so
lange entbehrten Leiden.
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Anna schrieb:
»Mein lieber Vater!
Es ist entschieden, daß wir zurückkehren; in etwa
acht Tagen hoffen wir Dich wiederzusehen. Es
würde mich zu traurig machen, Dich länger in der
Einsamkeit zu wissen, in der Du jetzt leben mußt.
Du sollst sehen, wie ich Dir Dein Zimmer wieder
heimisch machen werde, und dann kommst so oft
wie es angeht, zu uns heraus. Mit der Villa in der
Schil erstraße, die Du uns vorschlägst, sind wir ganz
einverstanden. Ich erinnere mich ihrer sehr genau,
nachdem ich sie einmal, während sie zum Verkauf
stand, zufällig besichtigt habe. Die Zimmer sind ge-
räumig und luftig, und erhalten ein volles Licht
durch hohe Scheiben; das ist, wie Du weißt, meine
besondere Liebhaberei. Am meisten reizt mich aber
der große, terrassierte Garten, der bis gerad an den
Fluß hinabsteigt. Wir bleiben so, wenn wir den herr-
lichen Genfer See verlassen, dennoch so viel wie
möglich in der freien Natur. Es wird ein sehr schöner
Sommer werden. Ich habe nur ein Bedenken, näm-
lich was den Kauf des Grundstückes betrifft. Wenn
es anders nicht möglich sein sollte, mache den Ver-
trag auf jeden Fall fertig; lieber wäre uns eine nach
wenig Jahren zu erneuernde Miete. Wir wären un-
vorsichtig, uns auf allzu lange Zeit zu binden, da wir
die Unruhe meines lieben Erich kennen, der nun
einmal keine seßhafte Natur ist. Ich sehe wohl ein,
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daß, wie er sagt, die häufige Ortsveränderung etwas
wie ein Betäubungsmittel ist, an das man sich auf die
Dauer gewöhnt wie an ein anderes. Bei unseren heu-
tigen, leichten und bequemen Reiseverbindungen ist
es vielleicht wirklich das hauptsächliche Narkoti-
kum vieler, und zumal solcher Existenzen gewor-
den, die der regelmäßigen, fesselnden Arbeit ent-
bunden sind. Ich nehme es ohne Widerspruch für
ihn an, ist es doch so viel unschuldiger als manches
andere, vor dem es ihn bewahren kann.
Du wunderst Dich, wie ich ihn zu verstehen und
in seine Bedürfnisse einzudringen trachte. Es ist
wahr, daß ich es vormals nur zu wenig gethan habe,
und ich bin mir dessen bewußt, was ich so zu dem,
was geschehen, beigetragen habe. Doch hoffe ich
jetzt so viel wie irgend möglich, davon nachzuholen.
In der sehr angenehmen Gesellschaft, der wir in un-
serer kleinen Pension angehören, finde ich meinen
Mann recht in seinem Element. Während der Unter-
haltungen, die man allabendlich in dem hübschen,
altmodischen Gartensaal führt, der auf den See hin-
ausblickt, habe ich oft Gelegenheit, die Reichhaltig-
keit seines Wissens zu bewundern, und noch mehr
die Leichtigkeit, mit der er es behandelt. Im Ge-
spräch mit den Angehörigen verschiedener Nationa-
litäten und Lebenskreise versetzt er sich ohne
Schwierigkeit in das Interessengebiet eines Jeden,
um dessen Gesichtspunkt zu dem seinigen zu ma-
chen. Neben ihm komme ich mir mit der Einseitig-
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keit meiner Auffassung und mit meinem mehr syste-
matischen Wissen oft recht schwerfällig vor. Wenn
ich bei solchen Gelegenheiten ein wenig stolz auf ihn
bin, so komme ich ihm doch erst ganz nahe in den
Zwiegesprächen, die wir lieber als sonst irgendwo,
auf den Spazierfahrten führen, welche wir fast täg-
lich auf dem See unternehmen. Wenn er mir die
Geschichte und den Gang seines geistigen Lebens
erzählt, so bin ich fast erschrocken, wie viele Über-
zeugungen er nach und nach erworben und später
wieder zu glauben verlernt hat. Es macht mich weh-
mütig, zu merken, daß er Wahrheit und Irrtum
kaum noch als Gegensätze betrachtet, und sich da-
mit bescheidet, Alles gelten zu lassen. Zugleich aber
belehrt mich dies über mich selbst, die ich mich, wie
Dir nicht verborgen sein kann, für ungläubig gehal-
ten habe. Und doch habe ich seit meiner Kindheit
meinen Glauben höchstens verändert. In ihm er-
kenne ich erst, was eine wahrhaft ungläubige Natur
ist.
Dies alles wird Dir herzlich unbedeutend erschei-
nen, aber ganz sicher würdest Du unsere Stimmung
teilen, wenn wir so in den weißen Sonnendunst hin-
einrudern, der über den See gebreitet ist, während
auf den Rudern, die langsam und wie schmeichelnd
über das glatte Wasser
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