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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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anzuhalten, hinjagte. So mag Je-
    mand, den man seiner zerstörenden Leidenschaft
    eine kurze Weile entrissen hatte, das Glas, dessen er
    sich zum erstenmale wieder bemächtigt, auf einen
    Zug leeren. Mit solcher krampfhaften Wollust
    durchtränkte sie sich endlich wieder mit ihrem so
    lange entbehrten Leiden.
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    Anna schrieb:
    »Mein lieber Vater!
    Es ist entschieden, daß wir zurückkehren; in etwa
    acht Tagen hoffen wir Dich wiederzusehen. Es
    würde mich zu traurig machen, Dich länger in der
    Einsamkeit zu wissen, in der Du jetzt leben mußt.
    Du sollst sehen, wie ich Dir Dein Zimmer wieder
    heimisch machen werde, und dann kommst so oft
    wie es angeht, zu uns heraus. Mit der Villa in der
    Schil erstraße, die Du uns vorschlägst, sind wir ganz
    einverstanden. Ich erinnere mich ihrer sehr genau,
    nachdem ich sie einmal, während sie zum Verkauf
    stand, zufällig besichtigt habe. Die Zimmer sind ge-
    räumig und luftig, und erhalten ein volles Licht
    durch hohe Scheiben; das ist, wie Du weißt, meine
    besondere Liebhaberei. Am meisten reizt mich aber
    der große, terrassierte Garten, der bis gerad an den
    Fluß hinabsteigt. Wir bleiben so, wenn wir den herr-
    lichen Genfer See verlassen, dennoch so viel wie
    möglich in der freien Natur. Es wird ein sehr schöner
    Sommer werden. Ich habe nur ein Bedenken, näm-
    lich was den Kauf des Grundstückes betrifft. Wenn
    es anders nicht möglich sein sollte, mache den Ver-
    trag auf jeden Fall fertig; lieber wäre uns eine nach
    wenig Jahren zu erneuernde Miete. Wir wären un-
    vorsichtig, uns auf allzu lange Zeit zu binden, da wir
    die Unruhe meines lieben Erich kennen, der nun
    einmal keine seßhafte Natur ist. Ich sehe wohl ein,
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    daß, wie er sagt, die häufige Ortsveränderung etwas
    wie ein Betäubungsmittel ist, an das man sich auf die
    Dauer gewöhnt wie an ein anderes. Bei unseren heu-
    tigen, leichten und bequemen Reiseverbindungen ist
    es vielleicht wirklich das hauptsächliche Narkoti-
    kum vieler, und zumal solcher Existenzen gewor-
    den, die der regelmäßigen, fesselnden Arbeit ent-
    bunden sind. Ich nehme es ohne Widerspruch für
    ihn an, ist es doch so viel unschuldiger als manches
    andere, vor dem es ihn bewahren kann.
    Du wunderst Dich, wie ich ihn zu verstehen und
    in seine Bedürfnisse einzudringen trachte. Es ist
    wahr, daß ich es vormals nur zu wenig gethan habe,
    und ich bin mir dessen bewußt, was ich so zu dem,
    was geschehen, beigetragen habe. Doch hoffe ich
    jetzt so viel wie irgend möglich, davon nachzuholen.
    In der sehr angenehmen Gesellschaft, der wir in un-
    serer kleinen Pension angehören, finde ich meinen
    Mann recht in seinem Element. Während der Unter-
    haltungen, die man allabendlich in dem hübschen,
    altmodischen Gartensaal führt, der auf den See hin-
    ausblickt, habe ich oft Gelegenheit, die Reichhaltig-
    keit seines Wissens zu bewundern, und noch mehr
    die Leichtigkeit, mit der er es behandelt. Im Ge-
    spräch mit den Angehörigen verschiedener Nationa-
    litäten und Lebenskreise versetzt er sich ohne
    Schwierigkeit in das Interessengebiet eines Jeden,
    um dessen Gesichtspunkt zu dem seinigen zu ma-
    chen. Neben ihm komme ich mir mit der Einseitig-
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    keit meiner Auffassung und mit meinem mehr syste-
    matischen Wissen oft recht schwerfällig vor. Wenn
    ich bei solchen Gelegenheiten ein wenig stolz auf ihn
    bin, so komme ich ihm doch erst ganz nahe in den
    Zwiegesprächen, die wir lieber als sonst irgendwo,
    auf den Spazierfahrten führen, welche wir fast täg-
    lich auf dem See unternehmen. Wenn er mir die
    Geschichte und den Gang seines geistigen Lebens
    erzählt, so bin ich fast erschrocken, wie viele Über-
    zeugungen er nach und nach erworben und später
    wieder zu glauben verlernt hat. Es macht mich weh-
    mütig, zu merken, daß er Wahrheit und Irrtum
    kaum noch als Gegensätze betrachtet, und sich da-
    mit bescheidet, Alles gelten zu lassen. Zugleich aber
    belehrt mich dies über mich selbst, die ich mich, wie
    Dir nicht verborgen sein kann, für ungläubig gehal-
    ten habe. Und doch habe ich seit meiner Kindheit
    meinen Glauben höchstens verändert. In ihm er-
    kenne ich erst, was eine wahrhaft ungläubige Natur
    ist.
    Dies alles wird Dir herzlich unbedeutend erschei-
    nen, aber ganz sicher würdest Du unsere Stimmung
    teilen, wenn wir so in den weißen Sonnendunst hin-
    einrudern, der über den See gebreitet ist, während
    auf den Rudern, die langsam und wie schmeichelnd
    über das glatte Wasser

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