In einer Familie
zurückschleifen, die Tropfen
im Lichte funkeln. Ich weiß nicht, ob es die Luft ist
oder die gleitende Bewegung des Kahnes, aber es ist
Al es wie mit einer stil en Innigkeit durchtränkt, aus
270
der ohne unser Zuthun auch das, was wir uns sagen,
herauszufließen scheint. Es ist wohl vor allem der
See, der etwas Beschwichtigendes, zuweilen selbst
Feierliches in sich trägt. Man sucht ihn, auf welchem
Punkte der Landschaft man sich auch befinde, wie
mit der Seele, so mit den Blicken, und wenn wir ihn
abends nicht mehr sehen, so regeln sich vorm Ein-
schlafen unbemerkt unsere Atemzüge nach dem lei-
sen, leisen Geräusch seiner Strandwellen.
Als Erich kürzlich abends allein von einem Aus-
gange heimkehrte, gab er mir ein Gedicht, das ich
Dir mitteilen möchte. Ich finde es nicht schlecht,
doch bin ich ja nicht unparteiisch. Denke Dir aber,
daß ich jetzt an Musik und Poesie mehr Geschmack
gewonnen habe, als je zuvor. Du siehst, daß große
Ursachen neben den bedeutenden auch kleine Wir-
kungen haben.
Ich grüße Dich, mein guter Vater, in Liebe
Deine Tochter Anna .«
Hier das Gedicht:
Still lag der See im weißlich-blauen Duft,
Aus dem die Berge gleich Phantomen ragten.
Weich abgestimmt war jede schwarze Kluft,
Darüber hin sonst Wetterwolken jagten,
Von dieser jungen, schmeichlerischen Luft,
In der die Möwenschreie leis nur klagten.
271
Nur selten Böte durch den stillen Raum
Mit lautlos eingetauchten Rudern glitten,
Dem Abendschein entgegen, wie im Traum
Bin ich den lieb vertrauten Weg geschritten.
Als ich mich wiederfand, am grünen Saum
Des Weingeländes, hab’ ich’s gern gelitten.
Der Pfad schleicht aufwärts durch das Kreuz und
Quer
Von weißen laubwerküberhangnen Mauern.
Der leise Wind trägt Blütenduft mir her:
Aus unserm Garten schon? wie lang wird’s dauern,
Bis unter’m Thor, das in den Angeln schwer
Sich dreht, des Ahorns Grüße mich umschauern.
Nun winkt herab vom grauen Gartensaal
Weiß die Gestalt im Josephinenmieder.
»Ich bin’s.« – Es duften süßer am Portal
Als je zuvor im Mai, Jasmin und Flieder; –
Und daß das Schicksal uns einander anbefahl,
Wir fühlen’s und wir sagen es uns wieder.
Am Ende des Blattes angelangt, vermochte Dora die
Augen nicht mehr von den letzten Zeilen zu erhe-
ben.
»Und daß das Schicksal uns einander anbefahl« –
Sie las dies immer aufs neue, als begriffe sie es
nicht oder als hoffe sie, dennoch einen andern, weni-
ger schrecklichen Sinn aus dem Verse herauszudeu-
272
ten. Ach, die Worte waren nur zu klar, und er selbst
hatte sie schreiben können! Jeder Zweifel an der
Aufrichtigkeit und Endgiltigkeit der ausgesproche-
nen Gesinnungen ward unmöglich, wenn sie die
Ähnlichkeit in Ton und Stimmung der beiden Gat-
ten verglich. Es lag etwas darin, was ihr die Überzeu-
gung auferlegte, daß Alles für sie verloren sei, mit je-
ner Unwiderruflichkeit, für welche es keine Gründe
gibt. Es mußte wohl die stille Innigkeit sein, von der
Anna schrieb, und die gleichmäßig aus jeder Zeile
sprach, ob Wellkamp den Heimweg zur Geliebten
schilderte, oder ob die junge Frau ihre naive Bewun-
derung für die Eigenschaften ihres Mannes äußerte.
Dora mußte nun sehen, daß Alles, was geschehen,
daß ihr kurzes Glück und ihr langes Leiden endlich
nur vermocht hatten, die Bande zwischen dem ge-
liebten Manne und der verhaßten Andern fester zu
knüpfen, ihnen eine wahre, unzerstörbare Intimität
zu geben, die sie vorher nicht besessen. Und war
nicht auch das Verhältnis von Vater und Tochter ein
engeres geworden? In ihrer geistigen Abgeschlos-
senheit hatte Anna vormals in ihrem Vater keinen
Vertrauten erblickt; sie hätte ihm nie die Geständ-
nisse gemacht wie sie es jetzt gethan. Vielleicht war,
so fiel es der einsamen Frau ein, ihr Gatte eben in
diesem Augenblick bei seinen Kindern in ihrem
neuen Heim. Der Brief war vom 20. Mai datiert, und
man befand sich in den ersten Tagen des Juni; das
Paar mußte zurückgekehrt sein. So war sie von die-
273
sen drei Menschen gewaltsam entfernt, welche sich
darauf einander genähert hatten. Die Wahrneh-
mung, wie ein schädliches Element in schweigender
Übereinkunft ausgeschlossen worden zu sein, voll-
endete ihre Trostlosigkeit. Auch er hatte sich dazu
verstehen können! Diese Entdeckung mit Allem was
ihr der Brief verriet, hatte in ihr eine letzte, äußerste
Hoffnung vernichtet, die trotz Allem, selbst wäh-
rend jenes
Weitere Kostenlose Bücher