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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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zurückschleifen, die Tropfen
    im Lichte funkeln. Ich weiß nicht, ob es die Luft ist
    oder die gleitende Bewegung des Kahnes, aber es ist
    Al es wie mit einer stil en Innigkeit durchtränkt, aus
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    der ohne unser Zuthun auch das, was wir uns sagen,
    herauszufließen scheint. Es ist wohl vor allem der
    See, der etwas Beschwichtigendes, zuweilen selbst
    Feierliches in sich trägt. Man sucht ihn, auf welchem
    Punkte der Landschaft man sich auch befinde, wie
    mit der Seele, so mit den Blicken, und wenn wir ihn
    abends nicht mehr sehen, so regeln sich vorm Ein-
    schlafen unbemerkt unsere Atemzüge nach dem lei-
    sen, leisen Geräusch seiner Strandwellen.
    Als Erich kürzlich abends allein von einem Aus-
    gange heimkehrte, gab er mir ein Gedicht, das ich
    Dir mitteilen möchte. Ich finde es nicht schlecht,
    doch bin ich ja nicht unparteiisch. Denke Dir aber,
    daß ich jetzt an Musik und Poesie mehr Geschmack
    gewonnen habe, als je zuvor. Du siehst, daß große
    Ursachen neben den bedeutenden auch kleine Wir-
    kungen haben.
    Ich grüße Dich, mein guter Vater, in Liebe
    Deine Tochter Anna .«
    Hier das Gedicht:
    Still lag der See im weißlich-blauen Duft,
    Aus dem die Berge gleich Phantomen ragten.
    Weich abgestimmt war jede schwarze Kluft,
    Darüber hin sonst Wetterwolken jagten,
    Von dieser jungen, schmeichlerischen Luft,
    In der die Möwenschreie leis nur klagten.
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    Nur selten Böte durch den stillen Raum
    Mit lautlos eingetauchten Rudern glitten,
    Dem Abendschein entgegen, wie im Traum
    Bin ich den lieb vertrauten Weg geschritten.
    Als ich mich wiederfand, am grünen Saum
    Des Weingeländes, hab’ ich’s gern gelitten.
    Der Pfad schleicht aufwärts durch das Kreuz und
    Quer
    Von weißen laubwerküberhangnen Mauern.
    Der leise Wind trägt Blütenduft mir her:
    Aus unserm Garten schon? wie lang wird’s dauern,
    Bis unter’m Thor, das in den Angeln schwer
    Sich dreht, des Ahorns Grüße mich umschauern.
    Nun winkt herab vom grauen Gartensaal
    Weiß die Gestalt im Josephinenmieder.
    »Ich bin’s.« – Es duften süßer am Portal
    Als je zuvor im Mai, Jasmin und Flieder; –
    Und daß das Schicksal uns einander anbefahl,
    Wir fühlen’s und wir sagen es uns wieder.
    Am Ende des Blattes angelangt, vermochte Dora die
    Augen nicht mehr von den letzten Zeilen zu erhe-
    ben.
    »Und daß das Schicksal uns einander anbefahl« –
    Sie las dies immer aufs neue, als begriffe sie es
    nicht oder als hoffe sie, dennoch einen andern, weni-
    ger schrecklichen Sinn aus dem Verse herauszudeu-
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    ten. Ach, die Worte waren nur zu klar, und er selbst
    hatte sie schreiben können! Jeder Zweifel an der
    Aufrichtigkeit und Endgiltigkeit der ausgesproche-
    nen Gesinnungen ward unmöglich, wenn sie die
    Ähnlichkeit in Ton und Stimmung der beiden Gat-
    ten verglich. Es lag etwas darin, was ihr die Überzeu-
    gung auferlegte, daß Alles für sie verloren sei, mit je-
    ner Unwiderruflichkeit, für welche es keine Gründe
    gibt. Es mußte wohl die stille Innigkeit sein, von der
    Anna schrieb, und die gleichmäßig aus jeder Zeile
    sprach, ob Wellkamp den Heimweg zur Geliebten
    schilderte, oder ob die junge Frau ihre naive Bewun-
    derung für die Eigenschaften ihres Mannes äußerte.
    Dora mußte nun sehen, daß Alles, was geschehen,
    daß ihr kurzes Glück und ihr langes Leiden endlich
    nur vermocht hatten, die Bande zwischen dem ge-
    liebten Manne und der verhaßten Andern fester zu
    knüpfen, ihnen eine wahre, unzerstörbare Intimität
    zu geben, die sie vorher nicht besessen. Und war
    nicht auch das Verhältnis von Vater und Tochter ein
    engeres geworden? In ihrer geistigen Abgeschlos-
    senheit hatte Anna vormals in ihrem Vater keinen
    Vertrauten erblickt; sie hätte ihm nie die Geständ-
    nisse gemacht wie sie es jetzt gethan. Vielleicht war,
    so fiel es der einsamen Frau ein, ihr Gatte eben in
    diesem Augenblick bei seinen Kindern in ihrem
    neuen Heim. Der Brief war vom 20. Mai datiert, und
    man befand sich in den ersten Tagen des Juni; das
    Paar mußte zurückgekehrt sein. So war sie von die-
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    sen drei Menschen gewaltsam entfernt, welche sich
    darauf einander genähert hatten. Die Wahrneh-
    mung, wie ein schädliches Element in schweigender
    Übereinkunft ausgeschlossen worden zu sein, voll-
    endete ihre Trostlosigkeit. Auch er hatte sich dazu
    verstehen können! Diese Entdeckung mit Allem was
    ihr der Brief verriet, hatte in ihr eine letzte, äußerste
    Hoffnung vernichtet, die trotz Allem, selbst wäh-
    rend jenes

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