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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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überhaupt erst in
die Einrichtung für betreutes Wohnen gezogen.)
    »Ich tu nicht mal so, als ob ich es verstehe, Billy, aber Al lässt
dir Folgendes ausrichten – entschuldige, sie richtet
es dir aus: Sie hat keinen richtigen Sex«, sagte mir Herm Hoyt. »Und zwar mit niemandem, Billy – sie macht’s einfach nie. Sie hat unglaublich viel durchgemacht, um eine Frau zu werden,
aber sie schläft mit niemandem – weder mit Männern noch mit Frauen, ich sag’s ja, überhaupt nie. Das Einzige,
was sie macht, ist irgend so was Griechisches – sie
hat gesagt, du weißt alles drüber, Billy.«
    »Schenkelverkehr«, sagte ich dem ehemaligen Ringertrainer.
    »Genau – genau das hat sie gesagt!«, rief Herm. »Da reibt man
einfach nur sein Ding zwischen den Schenkeln von dem anderen Kerl – man rubbelt nur so rum, oder?«, fragte mich der Trainer.
    »Davon kann man garantiert kein Aids kriegen«, antwortete ich.
    »Aber sie ist schon immer so gewesen,
Billy – das lässt sie dir ausrichten«, sagte Herm. »Sie ist eine Frau geworden,
aber sie ist nie zum Schuss gekommen.«
    »Zum Schuss gekommen«, wiederholte ich. Dreiundzwanzig Jahre lang
hatte ich mir vorgestellt, Miss Frost [613]  hätte mich beschützt; nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass sie – aus welchem Grund
auch immer, sei es auch unfreiwillig oder unbewusst – sich selbst beschützt hatte.
    »Kein Eindringen, weder so noch so – bloß Rubbeln «,
wiederholte Trainer Hoyt. »Al hat gesagt – sie hat
gesagt, sorry, Billy –: ›Mehr als das geht bei mir nicht, Herm. Mehr krieg ich
nicht auf die Reihe, und dabei wird es bleiben. Ich geb mir nur gern den
Anschein, Herm, aber ich kann keinen wegstecken.‹ Das sollte ich dir
ausrichten, Billy.«
    »Sie ist also auf der sicheren Seite ?«,
fragte ich. »Es geht ihr wirklich gut, und dabei wird
es auch bleiben?«
    »Sie ist siebenundsechzig, Billy. Was soll das heißen, ›es geht ihr wirklich gut‹? Was heißt, ›sie ist auf
der sicheren Seite ‹? Das ist man nie, Billy! Altwerden ist nicht sicher !«, rief Trainer Hoyt aus. »Ich sag dir bloß, dass
sie kein Aids hat. Sie wollte nicht, dass du dir wegen Aids Sorgen um sie machst, Billy.«
    »Oh!«
    »Al Frost – sorry, für dich Miss Frost –
hat nie irgendwas Sicheres gemacht, Billy. Scheiße«,
fluchte der alte Trainer, »sie sieht vielleicht wie eine Frau aus – ich weiß,
sie hat das alles bis aufs i-Tüpfelchen drauf –, aber sie denkt immer noch wie ein verdammter Ringer. Es ist einfach nicht sicher, wie eine
Frau auszusehen und sich so zu verhalten, wenn man immer noch denkt, man könnte
ringen, Billy – das ist weiß Gott nicht sicher.«
    Verfluchte Ringer!, dachte ich. Alle waren sie wie Herm: Gerade wenn
man sich vorstellte, dass sie endlich mal über was anderes redeten, kamen sie
auf das elende Ringen [614]  zurück; alle waren sie gleich! Der New York Athletic
Club fehlte mir wirklich kein bisschen. Aber Miss Frost war nicht genau wie die anderen Ringer; mit Ringen hatte sie abgeschlossen – jedenfalls
nach meinem Eindruck.
    »Was meinst du damit, Herm?«, fragte ich den alten Trainer. »Wird
Miss Frost irgend so ’n Typ aufreißen und versuchen, ihn niederzuringen ?
Eine Schlägerei provozieren?«
    »Nicht jeder Kerl gibt sich mit Rubbeln zufrieden, oder was meinst du?«, fragte mich Herm. »Sie wird keine Schlägerei
vom Zaun brechen – sie provoziert keine Schlägereien,
Bill –, aber ich kenne doch Al. Sie weicht keinem Kampf aus – nicht, wenn
irgendein Depp, der mehr als bloß Rubbeln wollte, sie
angreift.«
    Ich wollte nicht daran denken. Noch versuchte ich, die Sache mit dem Schenkelverkehr zu verdauen; ich war ehrlich
erleichtert, dass Miss Frost kein Aids hatte, dass sie es gar nicht haben konnte. Das gab mir fürs Erste genug zu denken.
    Doch die Frage, ob Miss Frost glücklich war, kam mir auch in den
Sinn. War sie von sich enttäuscht, weil sie nie zum Schuss kommen konnte? »Ich
geb mir nur gern den Anschein«, hatte sie ihrem ehemaligen Trainer gesagt.
Hörte sich das nicht aufgesetzt an, vielleicht Herm zuliebe? Hörte es sich
nicht so an, als ob Schenkelverkehr ihr völlig genügte? Auch das gab mir mehr
zu denken, als mir lieb war.
    »Was macht dein Durchschlüpfer, Billy?«, fragte Trainer Hoyt.
    »Hey, ich hab geübt«, sagte ich zu ihm – irgendwie eine Notlüge,
oder? Herm Hoyt sah gebrechlich aus; er zitterte. [615]  Vielleicht lag es am
Parkinson oder an einem seiner Medikamente – der

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