In ewiger Nacht
Papiere, nur ein paar Kosmetiksachen, eine Haarbürste, eine kleine Tafel Schokolade und das Parfüm. Und als anständiger Mensch wolle ich gern die Besitzerin ausfindig machen und ihr die Tasche zurückgeben.«
Solowjow lächelte. »Genial.«
»Ja, dafür musste ich vorher erst mal ein Englischwörterbuch konsultieren. Aber ich musste mich nicht lange quälen, ich hatte nämlich bald ein Fräulein an der Strippe, das ausgezeichnet Russisch sprach. Die meisten Kunden der Parfümerie sind nämlich Russen. Neben ein paar Hollywoodstars undeinem Dutzend amerikanischer und griechischer Millionäre. Also, Dima, die Besitzerin dieses Parfüms ist Russin.«
Erst nach einer Pause fuhr Lobow feierlich fort: »Signora Soja Sazepa hat eine Zeitlang in Rom gelebt. Ihr Mann war Diplomat bei der Botschaft. Jetzt wohnen sie in Moskau, sind aber oft in Rom. Das nette Fräulein hat mir Adresse und Telefonnummer von Sazepas Wohnung in Rom gegeben, die italienische Mobilfunknummer der Signora und ihre Moskauer Nummer. Hier, habe ich dir alles aufgeschrieben.«
Der Wanderer saß im Auto und beobachtete, wie der elektrische Clown auf der Kasinofassade mit Karten jonglierte. Er hatte extra hier gehalten. Die Erinnerungen versorgten ihn mit zusätzlicher Energie. Er fühlte sich unbesiegbar. Die Hominiden, diese dummen Geschöpfe, würden nie hinter sein Geheimnis kommen.
Selbst diejenigen von ihnen, die sich mit anscheinend seriösen Dingen befassten – Wissenschaft, Business, Kunst – waren hoffnungslos eingesperrt in die Kapsel ihres hässlichen Ichs. Im Reich der ewigen Nacht zielte alles auf Zerstörung. Selbst das nützlichste und vernünftigste Spielzeug wurde in den Händen der Hominiden schädlich und gefährlich. Bomben, Viren, Löcher in der Atmosphäre – das war ihre Wissenschaft. Krieg, Arbeitslosigkeit und Armut – das war ihre Wirtschaft.
Erst vor vierundzwanzig Stunden hatte er hier auf die kleine Hure gewartet und befürchtet, sie würde nicht kommen. Dann wäre er wahrscheinlich innerlich explodiert.
Als er sie endlich entdeckte, wurden seine Hände feucht. Durch den Verkehrslärm und das Dröhnen seines eigenen Herzens hindurch hörte er die Stimme des Engels.
Doch plötzlich war das Mädchen verschwunden.
Eben noch hatte er ihre Silhouette gesehen, die dünnen Beine in den Jeans und die giftgrüne Jacke, die im Dunkelnleuchtete, als wäre sie mit Phosphor getränkt. Wo war sie geblieben?
Er wartete ein paar Minuten, bemüht, das Zittern zu unterdrücken. Wischte sich mit einem Papiertaschentuch die schweißnasse Stirn und die Hände ab und hupte kurz. Keine Reaktion. Er wusste genau, dass sie ganz in der Nähe war. Er hatte den Ruf des Engels in ihr gehört, hatte ihre Gegenwart gespürt.
Er hupte noch einmal, rauchte eine Zigarette und hupte erneut. Da tauchte sie auf. Ein Blick in ihr Gesicht sagte ihm: Sie hatte sich eben im Park mit jemandem getroffen, und das Gespräch war ihr unangenehm gewesen. Ihre Augen hatten einen unruhigen Glanz. Er fragte sie, was los sei.
»Mein Klassenlehrer. Er lässt mich nicht in Ruhe, der alte Schwachkopf.«
Das Mädchen war nervös.
»Beruhige dich. Du hast ihm doch gesagt, dass er sich geirrt hat.«
»Er hat mir nicht geglaubt. Außerdem …«
»Was?«
»Wenn er nun alles in der Schule erzählt oder meine Mutter anruft?«
»Was ist er für ein Mensch?«
»Ein Lehrer eben, russische Sprache und Literatur. Boris Rodezki. Ziemlich alt. Ich hätte nie gedacht, dass der im Netz rumsurft und sich Pornos ansieht.«
»Hast du seine Telefonnummer?«
»Wieso?«
»Ich könnte ihn anrufen und mich als ein Verwandter von dir ausgeben, als dein Onkel zum Beispiel.«
»Ich habe keinen Onkel!«
»Das kann er doch nicht wissen. Sagen wir, ich habe lange im Ausland gearbeitet, bin wieder zurück und möchte gern mal mit ihm reden.«
»Hm, gar keine schlechte Idee. Du könntest sagen, duwärst der ältere Bruder meiner Mutter. Und wenn es Probleme gibt, soll er lieber dich in die Schule bestellen als meine Mutter. Du kannst ja sagen, du und meine Mutter, ihr wärt zerstritten oder so. Aber wenn es rauskommt? Wenn der alte Sack auf einer Elternversammlung zu meiner Mutter sagt, ihr Bruder hätte ihn angerufen? Was dann?«
»Geht deine Mutter oft zu den Versammlungen?«
»Nein.« Sie verstummte.
Er redete nicht weiter auf sie ein. Er überredete nie jemanden. Nach fünf Minuten reichte sie ihm ihr Telefon.
»Hier, seine Nummer. Willst du sie dir
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