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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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die Hände auf die Schläfen. Rodezki trank einen Schluck Tee. Der Gast hatte seine Tasse nicht angerührt.
    »Ich weiß«, sagte der Lehrer.
    »Ja, sie hat mir erzählt, dass Sie Bescheid wissen. Nun hat sienoch mehr Angst – sie fürchtet, Sie könnten es in der Schule erzählen und ihre Mutter anrufen. Wissen Sie, sie möchte damit Schluss machen. Schluss machen und vergessen, ein neues Leben anfangen. Verstehen Sie, wovon ich rede?«
    »Ja, natürlich. Ich werde niemandem in der Schule etwas sagen. Die Mutter wollte ich allerdings anrufen.«
    »Aber Sie haben es noch nicht getan?«
    »Nein. Sagen Sie, wenn ich richtig verstanden habe, sind Sie der Bruder von Shenjas Mutter?«
    »Ja. Der ältere Bruder. Ich bin sehr viel älter als Nina, ich war für sie eine Art Vaterersatz. Aber in den letzten Jahren hat sich unser Verhältnis verschlechtert. Sie hat sich von mir losgesagt und behauptet, sie hätte keinen Bruder.«
    »Ach ja?« Rodezki schüttelte mitfühlend den Kopf.
    »Ja, leider. Auf Außenstehende wirkt das bestimmt lächerlich. Für Shenja war der Bruch zwischen uns übrigens ein zusätzliches Trauma. Was meinen Sie, warum ihr das alles passiert ist? Weil es in ihrer Familie von Anfang an ständig Konflikte gab. Ihr Vater ist ein Nichts, ein lüsternes Tier. Er hat Nina verlassen, als Shenja noch ganz klein war. Nina fing an zu trinken. Ich bitte Sie, rufen Sie auf keinen Fall Nina an, sie ist sehr labil und unberechenbar, sie könnte wer weiß wie reagieren, bis hin zum Suizid.«
    »Angenommen, ich rufe sie nicht an – könnte sie es nicht trotzdem irgendwie erfahren?«
    »Woher? Shenja würde es ihr niemals erzählen.«
    »Ich habe es ja auch erfahren«, erinnerte ihn Rodezki, »rein zufällig, ich bin im Internet auf ihr Bild gestoßen.«
    »Nina benutzt kein Internet. Sie hat schlechte Augen. Apropos Zufall. Da ist noch ein unangenehmes Detail. Es fällt mir schwer, es auszusprechen.« Der Gast warf einen raschen Blick auf die Uhr, stand auf und lief im Zimmer auf und ab.
    »Nun reden Sie schon.« Der alte Lehrer versuchte ein Lächeln, doch es wurde eine Grimasse.
    »Haben Sie sich am Abend im Park vor dem Kasino mit ihr getroffen?«
    »Ja, aber …«
    »Sie haben Sie zu einem Rendezvous bestellt.« Der Gast sprach schnell und hart, als verhöre er Rodezki. »Sie haben ihr gedroht, wenn sie nicht zu Ihnen nach Hause kommen wolle, würden Sie der Schuldirektorin von der Pornoseite erzählen.«
    »Das ist eine Lüge! Wir haben über etwas ganz anderes gesprochen!« Der Lehrer klammerte sich so fest an die Armlehnen, dass seine Fingerknöchel weiß wurden.
    »War außer Ihnen jemand bei dem Gespräch zugegen?«
    »Nein.«
    »Es war also keine Menschenseele in der Nähe?«
    »Hinter den Büschen, draußen vorm Park, stand ein Auto.«
    »Was für ein Auto? Haben Sie es gesehen?«
    »Nur das Scheinwerferlicht. Es war schon dunkel.«
    »Nicht die Farbe, den Typ, die Autonummer?«
    »Nein. Hören Sie, ich verstehe nicht …«
    »Haben Sie mit Shenja über die Pornoseite gesprochen?«
    »Ja, aber ich habe ihr nicht gedroht, im Gegenteil …«
    »Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen.« Die Stimme des Gastes klang nun wieder sanft und freundlich. »Ich glaube Ihnen. Ihnen und nicht Shenja. Hätte ich auch nur einen Augenblick an Ihrer Anständigkeit gezweifelt, wäre ich jetzt nicht hier. Shenja war vollkommen hysterisch. Ich habe versucht, sie zu beruhigen, vergeblich. Sie sagte, sie wolle nicht mehr leben, alle Männer seien lüsterne Schweine. Und dann sprach sie von Ihnen. Dass Sie auch … Wie soll ich sagen – dass Sie sich auf ganz bestimmte Weise für sie interessieren würden, nicht als Lehrer. Entschuldigen Sie. Ich hielt es für meine Pflicht, Sie zu warnen.«
    »Zu warnen? Wovor?«, fragte Rodezki, löste die Hände von den Sessellehnen, griff nach seiner Tasse, trank einen Schluck Tee, verschluckte sich und hustete.
    »Davor, dass Shenja vor nichts haltmacht. Sie ist hart undaggressiv geworden. Sie will sich an der ganzen Welt rächen. Sie könnte Sie öffentlich beschuldigen oder in der Schule ein Gerücht verbreiten. Vielleicht hat sie schon einer Freundin etwas geflüstert.«
    »Was? Was soll sie geflüstert haben?«
    »Was auch immer. Sie geben Shenja doch Nachhilfestunden bei sich zu Hause?«
    »Aber doch nicht nur ihr.«
    »Na sehen Sie! Also werden auch andere Kinder das bestätigen. Halbwüchsige Mädchen bilden sich gern ein, dass jeder erwachsene Mann sich sexuell für sie

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