Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Ewigkeit, Amen

In Ewigkeit, Amen

Titel: In Ewigkeit, Amen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hanika
Vom Netzwerk:
war gestorben. Die ersten zwei Punkte waren total unwahrscheinlich.
    Da Großmutter und der Meier jetzt schwiegen, stand ich auf und watete durch das Laub. Ich kannte das. Wenn sie meinten, ich hörte zu, redeten sie sowieso nicht. Wegen des raschelnden Laubs bekam ich zwar nicht alles mit, aber sie sprachen wenigstens. Und dann könnte ich vor Anneliese morgen ganz schön angeben. Stell dir vor, der Pudschek, tot. Stell dir das vor. Und vorher ist er zur SPD gewechselt und hatte Sex. Was das auch immer sein mag.
    Tief in mir drinnen hatte ich natürlich gewusst, dass ich damit nicht angeben würde. Allein deswegen nicht, weil ich nichts darüber wissen wollte, weil ich die Gedanken, ob er lebte oder nicht, auslöschen wollte. Ausradieren. Absurderweise fiel mir in dem Moment ein, dass es vielleicht sogar einfacher wäre, wenn er tot war. Dann bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen, ob er sterben würde oder nicht. Er könnte auch nie mit dem Finger auf mich zeigen und sagen, nur weil die Lisa Wild . . . Ich verdrängte schnell den nächsten Satz.
    »Hätt’st des gedacht, bei der letzten Leich, dass der Pudschek der Nächste ist«, hatte der Meier gesagt.
    Aha. Dann war er also tot. Mein schlechtes Gefühl war noch bohrender geworden. War ich jetzt eine Mörderin? Mit zwölf Jahren?
    »Na. Des hätt keiner denkt. Dass der Pudschek der Nächste ist«, hatte Großmutter geantwortet. Das war eine der Lieblingsbeschäftigungen vom Meier und der Großmutter. Nach einer Beerdigung darüber zu reden, wer wohl der Nächste sein würde. Großmutter war schon seit Jahren davon überzeugt, dass sie die Nächste war. Aber gestimmt hatte es noch nie. Die letzte Beerdigung war nämlich die vom alten Jedl gewesen. Und jetzt war der Pudschek dran.
    Ich erinnerte mich, wie ich Pudschek bei der letzten Leichenfeier eine ganze Weile beobachtet hatte. Da war er nämlich auch dabei gewesen, denn den Organisten, den muss man ja einladen. Was willst machen, hätt meine Großmutter g’sagt. Wenn er g’orgelt hat, dann kannst ned so sein und ihn ned einladen. Da saßen sie dann alle zusammen und aßen und tranken.
    Nur einer aß anders.
    Der Pudschek. Hochkonzentriert, immer einen Löffel nach dem anderen. Er sah dabei nicht auf, obwohl sich alle rege unterhielten.
    Dann war der Teller leer. Er legte sein Besteck weg, rülpste mit geschlossenem Mund, sah ein paar Sekunden regungslos auf das Glas vor sich und trank es auf einen Zug leer.
    Damit war für ihn anscheinend das Thema Essen und Trinken erledigt, denn plötzlich beteiligte er sich auch am Gespräch.
    »Kein Wunder«, hörte ich ihn noch sagen, »dass sie nicht noch einmal schwanger werden will. Mit Zwillingen. Sie hat sie fast ein Jahr lang beide gestillt.« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Das laugt doch aus«, fand er.
    Die rauchgeschwängerte Luft war auf einen Schlag von einer komischen Stille erfüllt. Als hätte der Rauch aufgehört zu reden. Immerhin wusste ich, was das bedeutete. Als Mann sagte man so etwas nicht. Also das mit dem Stillen und dem Auslaugen. Außerdem setzte man sich sowieso nicht zu den Frauen. Jedenfalls als Mann nicht. Da saß man hübsch getrennt, wie in der Kirche. Auch wenn man Orgel spielte. Und sogar wenn der alte Jedl gestorben war.
    Ich wusste nur, dass meine Mutter, wenn sie »auf die Leich« gegangen wäre, sich zu den Männern gesetzt hätte. Aber meine Mutter war nie auf Leichen gegangen und hatte sowieso ausschließlich das getan, was sie für richtig hielt. Auch wenn Großmutter danach den ganzen Heimweg schimpfte und die Bet am nächsten Tag wieder herumerzählte, was sich die Wild, die g’schnapperte Bixn, wieder geleistet hatte.
    Und vielleicht war der Pudschek ja auch so einer. Der nur tat, was er für richtig hielt.
    »Kein Wunder«, hatte der Meier schließlich gesagt. »Des hätt a G’sunder aa ned überlebt.«
    Das Laub hatte so laut geknistert und geraschelt, dass man wirklich kaum was verstehen konnte. Ich pflügte Wege durch die hohe Laubschicht und versuchte, noch mehr zu rascheln als notwendig. Denn eigentlich wollte ich den Rest gar nicht hören.
    »Was sollst machen«, nickte Großmutter.
    »Was sollst machen«, nickte der alte Meier. »Des ist halt des Problem mit dem Marcumar. Da is halt dann vorbei.«
    »Dann is vorbei«, nickte Großmutter. Gleichzeitig schnellten die Köpfe der zwei in meine Richtung, und sie sahen aus, als wüssten sie, dass Marcumar und Lisa Wild dem Pudschek den Rest gegeben hatten. Ich

Weitere Kostenlose Bücher