In Ewigkeit verflucht
anzusehen.
»Auf dem Berg.«
»Wie?«
»Piz Muragl.«
Meine Antwort hatte sie überrascht. So fragte sie last schon automatisch. »Wie sind Sie denn auf diesen Berg gekommen?«
»Eigentlich durch Ihren Sohn. Er hat sich stark auf den Berg konzentriert. Immer wieder hingeschaut. Irgendetwas muss an ihm dran sein, meine ich. Was Besonderes. Hat er vielleicht mal mit Urnen über den Muragl gesprochen?«
»Nein, Herr Sinclair. Nicht speziell. Das können Sie mir glauben.«
»Was ist mit seiner Verlobten gewesen?«
»Sie wohl auch nicht, wie ich mir denken kann. Jedenfalls habe ich nichts dergleichen gesehen.«
»Gut, dann bedanken wir uns und wünschen Ihrem Mann gute Besserung.«
»Danke.« Sie kämpfte mit den Tränen. »Und Sie werden wirklich versuchen, meinen Sohn zu finden?«
»Versprochen.«
Frau Kirchner nickte und wischte sich zugleich über die Augen. Dann drehte sie sich um und eilte zurück ins Haus.
Bill deutete nach vorn und auch nach oben. Die Spitze des Zeigefingers zielte auf den Muragl. »Dorthin?«
Ja. Und das so schnell wie möglich..«
Reto Kirchner hatte den Bus genommen und war bis zur Station Muragl gefahren. Auch die Axt trug er noch bei sich, nur hatte er sie gut verborgen. Sie steckte hinten in seinem Gürtel. Eine Strickjacke, die bis zur Hüfte reichte, verbarg die Waffe.
Im Bus befanden sich nur wenige Fahrgäste. Diesmal sogar mehr Einheimische als Touristen. Das sah im Winter anders aus. Da waren die Busse überfüllt mit den Skiläufern, die von Station zu Station gekarrt wurden.
Die Menschen kannten sich untereinander, auch wenn sie aus verschiedenen Orten kamen. So verhielt es sich auch bei Reto Kirchner, der sich auf die hintere leere Bank gesetzt hatte, denn hier konnte er den Blickkontakt mit den anderen Fahrgästen vermeiden.
Er wollte allein sein und bleiben. Das galt auch für sein Inneres. Hier war er allein. Er fühlte sich als seelisch Ausgegrenzter. Etwas war mit ihm passiert. Seine Psyche hatte einen Knacks bekommen. Er kam sich vor wie ein Mensch, dem es plötzlich gelungen war, einen Blick in die Hölle zu werfen, und der dieses Bild einfach nicht hatte verkraften können. Da war zu viel auf einmal auf ihn eingestürzt. Schlimme Albträume hatten sich in dem Augenblick bestätigt, als er so nahe an einem geliebten Menschen gewesen war.
Fremdgehen. Ihn hintergehen. Dann einfach verschwinden. Ihn in seinem Kummer und Schmerz allein lassen, keine Hilfe mehr geben. Das alles war für ihn nicht zu fassen.
Und trotzdem gab es sie noch. Elisa war da. Nur nicht mehr wie sonst. Sie hatte sich eben anderem und anderen zugewandt, und das konnte er nicht akzeptieren. Reto ging davon aus, dass sie für alle Zeiten zu ihm gehörte, denn sie hatte ihm das Verlobungsversprechen gegeben.
Er war ihr treu gewesen.
Ihm wäre es nicht in den Sinn gekommen, an eine fremde Frau zu denken. Sie aber hatte ihn betrogen, und das war für ihn schlimm gewesen. Auch wenn er es selbst nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, er ahnte und spürte es. Das saß tief in ihm, und er wusste darüber genau Bescheid.
Dann lächelte er plötzlich!
Eine gewisse Heiterkeit war in ihm hochgestiegen. Er drehte dabei den Kopf und sah sein Gesicht in der Fensterscheibe als schwachen Andruck. Alles würde sich regeln lassen, wenn er Elisa fand. Und er würde sie finden, das stand für ihn fest.
Elisa war weg, und sie war trotzdem da. Irgendwo hielt sie sich versteckt. Sie war nicht mehr allein. Sie hatte Menschen um sich herum versammelt, die zu ihr passten. Es waren ungewöhnliche Dinge passiert, über die niemand so richtig sprechen wollte. Polizisten waren im Ort erschienen und hatten Fragen gestellt. Ein Gruppe von jungen Menschen war verschwunden und nicht mehr aufgetaucht. Es gab Gerüchte. Es war von einer neuen Gruppe oder Sekte die Rede gewesen. Die Leute nannten sich die Auserwählten. Das hatte Reto durch eigene Recherchen herausgefunden und sie für sich behalten.
Es gab sie. Sie waren da. Und sie mussten nur noch gefunden werden. Reto war nicht mehr in die Kirche gegangen, den Platz mied er, aber er hatte sich umgehört und zahlreiche Informationen erhalten, die er mehr als Botschaft verstand.
Eine Botschaft aus der Höhe.
Von der Spitze des Berges her. Genau dort, wo Menschen hochfuhren, um einsam zu sein. In der Weite und der Schönheit der Natur zu sich selbst fanden.
Im Sommer war das gut. Dort konnte man sich herrlich zurückziehen. Da war auch kein Schlepplift in Betrieb.
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