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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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körperlich spüren konnte. Sie saß nicht weit von ihm entfernt und doch klaffte ein Abgrund zwischen ihnen. Er wusste nicht, wie er diesen Abgrund überbrücken sollte. Sie hätten sich ebenso gut auf verschiedenen Erdteilen befinden können.
    Er verabschiedete sich und verließ das Polizeirevier, winkte eine Droschke heran und nannte dem Fahrer Monks Adresse in der Fitzroy Street. Er verschwendete kaum einen Gedanken darauf, wie sehr es ihm widerstrebte, das Haus zu betreten, in dem Hester mit Monk wohnte. Das schien in diesem Augenblick zweitrangig zu sein.
    »Ich habe sie angefleht!«, sagte er, während er in dem Salon, in dem Monk seine Klienten empfing, auf und ab ging. Monk stand vor dem Kamin, in dem an diesem milden Abend kein Feuer brannte. Hester saß aufrecht auf der Kante des großen Lehnstuhls und sah ihn aufmerksam an. »Aber sie weiß, dass man sie hängen wird, und sie weigert sich trotzdem, mir zu sagen, wer Treadwell getötet hat!« Er machte eine weit ausholende Bewegung mit den Armen und schlug beinahe mit der Hand gegen die hohe Lehne des anderen Stuhls.
    »Lucius Stourbridge«, sagte Monk unglücklich. »Er ist der Einzige, für den sie sich hängen lassen würde, abgesehen von Cleo.«
    »Nein, das stimmt nicht«, widersprach Rathbone ihm.
    »Ich habe das auch gedacht, aber sie hat es voller Zorn abgestritten – und ihr Zorn galt mir, nicht demjenigen, der Treadwell getötet hat. Sie sagte, sie würde ihn mit Freuden selbst hängen, wenn sie könnte, aber niemand würde ihr glauben, und sie würde mir nicht mehr darüber sagen.«
    Monk sah ihn verwirrt an. Rathbone wollte nichts sehnlicher als eine Antwort, aber es war doch eine Befriedigung zu sehen, dass Monk sich ebenso wenig wie er einen Reim auf das Ganze machen konnte.
    Beide Männer sahen zu Hester.
    »Damit bleiben nur noch Harry Stourbridge oder Aiden Campbell«, sagte sie nachdenklich. »Es könnte sein, dass Treadwell Harry Stourbridge erpresst hat. Er hat mehrere Jahre im Haus gelebt. Er lenkte die Kutsche. Vielleicht hatte Major Stourbridge ein Geheimnis und zahlte dafür, damit es nicht ans Licht kam?«
    »Was ist mit dem Bruder, Campbell?«, fragte Rathbone.
    Monk schüttelte den Kopf. »Unwahrscheinlich. Er lebt irgendwo in Wiltshire. Er ist nur zu der Verlobungsfeier hergekommen. Ich habe das nachgeprüft, und so weit die anderen Dienstboten wussten, hat er Treadwell kaum zu Gesicht bekommen. Er hatte seine eigene Kutsche samt Fahrer mitgebracht und niemand hat je gesehen, dass er während seines Aufenthalts dort auch nur in die Nähe des Stalls gekommen wäre. Und Treadwell war nie in seinem Leben in Wiltshire. Nach Aussage seiner Tante, der Köchin der Stourbridges, ist er nie über London hinausgekommen. Und was den Mord an Mrs. Stourbridge betrifft – die beiden Geschwister standen sich sehr nahe, in dem Punkt sind sich alle einig.«
    »Selbst Geschwister, die ein gutes Verhältnis miteinander haben, streiten sich bisweilen«, warf Rathbone ein.
    »Natürlich«, pflichtete Monk ihm bei. »Aber niemand wird seine Schwester umbringen, wenn sie die einzige Verbindung zu einem Vermögen wie dem der Stourbridges darstellt. Jetzt, da sie tot ist, hat er keinerlei Zugriff mehr darauf. Er steht weder Harry noch Lucius besonders nahe. Nun gut, sie haben ein freundschaftliches Verhältnis, aber sie werden gewiss nicht so großzügig sein, wie Verona es in der Vergangenheit war.«
    Eine weitere Sackgasse.
    Hester biss sich auf die Unterlippe. »Dann müssen wir herausfinden, ob es Major Stourbridge war.«
    »Es würde Sinn machen«, gab Rathbone zu. Er schob die Hände in die Taschen und nahm sie sofort wieder heraus. Es war eine Angewohnheit, die man ihm schon als Kind abzugewöhnen versucht hatte. Er wandte sich zu Monk um.
    »Ja«, pflichtete Monk ihm bei. »Ich hätte dieser Frage schon früher nachgehen sollen. Ich habe mir die Stourbridges im Grunde gar nicht so genau angesehen, keinen von ihnen.«
    »Ich weiß nicht, was Sie in ein oder zwei Tagen herausfinden könnten«, erwiderte Rathbone kleinlaut. »Ich werde mit leeren Händen in die Verhandlung gehen! Ich habe keinen anderen Verdächtigen, den ich den Geschworenen präsentieren könnte, nur »einen oder mehrere Unbekannte«! Niemand wird mir das abkaufen, solange Cleo und Miriam überzeugende Motive haben und alles für ihre Schuld spricht.«
    »Sie könnten tatsächlich schuldig sein«, rief Monk ihm ins Gedächtnis. »Oder zumindest eine von beiden, und eine andere,

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