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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Aufzeichnungen anderer Menschen. Ich dachte nur, dass Mrs. Stourbridge sich Ihnen vielleicht anvertraut hätte. Manche Damen sind ihren Zofen außerordentlich zugetan.«
    Die Zeugin zeigte sich beschwichtigt. »Nun… nun, ich weiß, dass sie ihre Gefühle darin niedergeschrieben hat. Sie hat häufig die Tagebücher aus vergangenen Jahren gelesen, aus der Zeit, als sie in Ägypten war. Das hat sie auch an dem Tag getan, bevor sie… bevor sie starb… die arme Dame.« Es sah so aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, und Tobias ließ ihr einen Moment Zeit, um sich wieder zu beruhigen, bevor er die Befragung fortsetzte – und den Geschworenen auf diese Weise die Möglichkeit gab, die volle Bedeutung dessen, was gesagt worden war, zu erfassen.
    Dann ließ er die Zofe ein Bild von Miriam als einer sanften, charmanten und freundlichen Frau zeichnen, die versuchte, sich in eine neue Familie einzufügen. Eine Familie, die gesellschaftlich weit über ihr stand und über erheblich mehr Geld verfügte. Es war ein zu Herzen gehendes Porträt, bis Tobias sich an die Geschworenen wandte.
    »Eine reizende Frau, die bemüht war, ihre Lebensumstände zu verbessern?«, sagte er mit einem Lächeln. »Um des Mannes willen, den sie liebt – und den sie zufällig auf einem Spaziergang in der Heide von Hampstead kennen gelernt hat.« Seine Miene verdüsterte sich. »Oder eine gerissene, habgierige Frau mit einem hübschen Gesicht, die einen jüngeren Mann, einen unerfahrenen Mann in die Falle lockt. Eine Frau, die ihr Temperament zügelt und sich zurückhält, um ihn mit ihrer Liebenswürdigkeit zu einer Ehe zu verleiten, die ihr und ihrer Ziehmutter ein Leben in Wohlstand ermöglichen würde, wie sie es innerhalb ihrer eigenen Gesellschaftsschicht niemals hätte erwarten dürfen?«
    Er sprach hastig weiter, um Rathbone keine Gelegenheit zu geben, Einspruch zu erheben. »Eine unschuldige Frau, die in ein Netz von schrecklichen Zufällen verstrickt wird? Oder eine Intrigantin, die auf einen nicht minder kaltblütigen und habgierigen Kutscher traf, der seine Chance witterte, aus ihrem zukünftigen Glück Profit zu ziehen, der aber fatalerweise ihre Skrupellosigkeit unterschätzt hat – und daher nicht für sein Schweigen über ihre Vergangenheit bezahlt wurde. Vielleicht war er sogar der Vermittler, der Mr. Stourbridge und Miriam Gardiner zusammengebracht hat – vielleicht war es gar kein Zufall? Und er musste deshalb eines gewaltsamen Todes sterben.«
    Rathbone erhob die Stimme und fiel Tobias schneidend und ohne sich zuvor an den Richter zu wenden ins Wort.
    »Treadwell scheint tatsächlich ein Schurke gewesen zu sein, aber weder Sie noch ich haben Beweise dafür, dass er auch ein Narr war! Warum in Gottes Namen sollte er damit drohen, Miriam Gardiners Vergangenheit zu enthüllen – in der übrigens weder Sie noch ich einen Makel entdecken konnten –, bevor sie in die Familie Stourbridge einheiratete?« Er breitete die Hände aus. »Sie besaß kein Geld, um ihn zu bezahlen! Da hätte er doch sicher bis nach der Hochzeit gewartet – und alles in seiner Macht Stehende getan, damit diese Hochzeit wie geplant stattfinden konnte?« Dann wurde sein Tonfall sarkastisch.
    »Wenn er, wie Sie andeuten, geholfen hat, die Begegnung zwischen Mr. Stourbridge und Mrs. Gardiner einzufädeln, dann scheint es doch höchst unglaubwürdig, dass er seine eigene Arbeit sabotieren sollte, gerade als sie die ersten Früchte trug.«
    Sein Argument war stichhaltig, aber es hatte nicht das gleiche emotionale Gewicht wie Tobias’ Anklage. Der Schaden war nicht wieder gutzumachen. In den Köpfen der Geschworenen hatte sich das Bild einer ränkeschmiedenden, verlogenen und treulosen Frau eingenistet, die von ihrem ehemaligen Liebhaber in eine Lage gebracht wurde, aus der sie sich nur noch durch einen Mord befreien konnte.
    »War es Zufall oder war es Treadwells Versuch, noch im Sterben auf seinen Mörder hinzuweisen, als er mit letzter Kraft auf Cleo Andersens Haus zukroch?«, fragte Tobias mit dröhnender Stimme, in der Empörung und Mitleid für das Opfer mitschwangen. »Meine Herren, ich überlasse diese Entscheidung Ihnen!«
    Das Gericht vertagte sich, aber Miriam und Cleo waren bereits so gut wie verurteilt.
    Rathbone ging in seiner Wohnung auf und ab und widerstand nur mit Mühe der Versuchung, zu Monk zu fahren und festzustellen, ob dieser mit seinen Ermittlungen Fortschritte gemacht hatte. Wie oft hatten sie es nicht in der Vergangenheit

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