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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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keinerlei andere Mittel verfügte.
    »Es war an einem Abend im September, am zweiundzwanzigsten, glaube ich. Es war windig, aber nicht kalt.« Sie schluckte. Ihre Kehle war trocken, und sie begann zu husten.
    Auf Anweisung des Richters brachte der Gerichtsdiener ihr ein Glas Wasser, dann fuhr sie fort.
    »Der alte Josh Wetherall, der zwei Türen weiter wohnte, klopfte bei mir, um mir zu sagen, dass ein junges Mädchen, ein Kind, weinend auf der Straße säße. Die Kleine, so sagte er, sei vollkommen hysterisch und über und über mit Blut bedeckt. Er war selbst ganz außer sich vor Sorge und Verwirrung, der arme Mann, und hatte keine Ahnung, wie er der Kleinen helfen sollte.« Sie holte tief Luft.
    Niemand bewegte sich oder unterbrach sie. Selbst Tobias schwieg, obwohl sein Gesicht noch immer Ungeduld widerspiegelte.
    »Natürlich bin ich hingegangen, um zu sehen, was ich tun konnte«, fuhr Cleo fort. »Jeder hätte so gehandelt, aber da ich Krankenschwester bin, wird er wohl gedacht haben, ich wüsste ein bisschen mehr über solche Dinge.«
    »Und das Kind?«, hakte Rathbone nach.
    Cleo umfasste mit beiden Händen das Gitter vor sich.
    »Josh hatte Recht, sie war in einem furchtbaren Zustand…«
    »Würden Sie sie bitte für uns beschreiben?« Rathbone wandte sich direkt an sie und ignorierte Tobias, der zu einem Einspruch ansetzte, vollkommen. »Wir müssen sie so sehen, wie Sie sie damals vorgefunden haben, Mrs. Anderson.«
    Sie blickte ihn flehentlich an, und ihr ganzer Körper schien sich gegen diese Aussage zu wehren.
    »Es muss sein, Mrs. Anderson. Bitte glauben Sie mir, es ist sehr wichtig.« Er log. Er hatte keine Ahnung, ob das alles zu etwas führen würde oder nicht, aber zumindest hörten die Geschworenen zu und endlich waren sie auch emotional beteiligt.
    Cleo saß steif und zitternd da. »Sie war hysterisch«, sagte sie sehr leise.
    Der Richter beugte sich vor, um besser hören zu können, aber er verlangte nicht noch einmal von ihr, lauter zu sprechen.
    Niemand im Gerichtssaal bewegte sich oder gab auch nur den leisesten Laut von sich.
    Rathbone nickte und bedeutete ihr fortzufahren.
    »Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden in solcher Angst gesehen«, sagte Cleo nicht zu Rathbone oder zu dem Gericht, sondern als spräche sie laut mit sich selbst. »Sie war voller Blut, ihre Augen starrten ins Leere. Sie taumelte und stieß gegen alle möglichen Dinge und stundenlang war sie überhaupt nicht in der Lage zu sprechen. Sie schnappte nur wieder und wieder nach Luft und zitterte furchtbar. Ihr wäre wohler gewesen, wenn sie hätte weinen können.« Wieder hielt sie inne, und das Schweigen zog sich in die Länge, aber niemand gab einen Laut von sich. Selbst Tobias war klug genug, nicht zu unterbrechen.
    »Welcher Natur waren ihre Verletzungen?«, fragte Rathbone schließlich.
    Cleo schien in die Gegenwart zurückzukehren und sah ihn an , als hätte sie ihn schon fast vergessen.
    »Welcher Natur waren ihre Verletzungen?«, wiederholte Rathbone. »Sie sagten, sie sei voller Blut gewesen, und offensichtlich hatte sie ein grauenvolles Erlebnis hinter sich.«
    Cleo blickte verlegen drein. »Wir wissen nicht, wie es geschah, jedenfalls nicht wirklich. Tagelang konnte sie nicht einen einzigen vernünftigen Satz hervorbringen, und das arme Kind war so verängstigt, dass niemand in sie drang. Sie lag lediglich mit angezogenen Beinen in meinem Bett, beide Arme um den Leib geschlungen, und ab und zu weinte sie, als sei ihr Herz gebrochen, und sie hatte vor jedem Mann, der sich ihr näherte, solche Angst, dass wir nicht einmal nach einem Arzt schicken wollten.«
    »Aber die Verletzungen?«, fragte Rathbone noch einmal.
    »Wie war das mit dem Blut?«
    Cleo sah an ihm vorbei. »Sie trug nur ein langes baumwollenes Nachthemd. Es war von oben bis unten voller Blut und ihr Körper war übersät mit Prellungen und Schnittwunden…«
    »Ja?«
    Cleo sah zum ersten Mal zu Miriam hinüber, und die Tränen rannen ihr übers Gesicht.
    Verzweifelt formte Miriam mit den Lippen das Wort »Nein«.
    »Mrs. Andersen!«, sagte Rathbone scharf. »Woher kam das Blut? Wenn Sie wirklich unschuldig sind, und wenn Sie glauben, dass auch Miriam Gardiner unschuldig ist, kann nur die Wahrheit Sie noch retten. Das ist Ihre letzte Chance, uns diese Wahrheit zu sagen. Wenn das Urteil erst verkündet ist, bleiben Ihnen nichts als die kurzen Tage und Nächte bis zu Ihrer Hinrichtung.«
    Tobias erhob sich.
    Rathbone drehte sich zu ihm um.

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