In feinen Kreisen
nicht lange nach und nahm den Vorschlag dankbar an.
Der alte Mann und sein Enkel lebten in zwei Räumen in einem Haus, das etwa fünf Gehminuten vom Polizeirevier entfernt lag, sofern man ein schnelles Tempo vorlegte. Das Gebäude selbst war schäbig, aber sauber, und Robb hielt es nicht für notwendig, sich für den Zustand seiner Unterkunft zu entschuldigen. Was Monk dachte, interessierte ihn nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem alten Mann, der in sich zusammengesunken in einem bequemen Sessel saß, als verursache ihm das Atmen Schmerzen. Sein weißes Haar war ordentlich gekämmt, und er war rasiert, aber sein Gesicht hatte keine Farbe. Es kostete ihn große Mühe, sich den Anschein von Würde zu geben, als er sah, dass sein Enkel einen Fremden mitgebracht hatte.
»Wie geht es Ihnen, Sir?«, erkundigte Monk sich. »Vielen Dank, dass Sie mir gestatten, meine Pastete in Ihrem Haus zu essen, während ich mich mit Sergeant Robb über den Fall unterhalte, an dem wir gerade arbeiten. Das ist sehr freundlich von Ihnen.«
»Keine Ursache«, sagte der alte Mann heiser. Er musste sich räuspern. »Sie sind uns herzlich willkommen.« Er stellte sich als John Robb vor, dann sah er seinen Enkel ängstlich an.
Monk setzte sich und konzentrierte sich ganz auf sein Essen, um so zu tun, als bemerke er nicht, wie Robb dem alten Mann zur Toilette half, wie er ihm die Hände wusch und dann etwas Suppe auf dem Herd in der Ecke wärmte.
Schließlich begann Monk zu sprechen, um die Geräusche zu übertönen, mit denen der alte Mann um Atem rang und mühsam die Suppe und die mit Butter bestrichene Scheibe Brot verzehrte, die Robb ihm Bissen für Bissen in den Mund schob. Er hatte sich bereits zurechtgelegt, wie viel er Robb von Lucius’ Auftrag erzählen wollte. Für den Augenblick würde er Miriam vollkommen aus dem Spiel lassen. Auf diese Weise würde er ihn zwar bewusst in die Irre führen, aber so lange er nicht selbst mehr über die Angelegenheit wusste, sollte Robb auf keinen Fall auf Miriams Spur gelenkt werden, denn das wäre nicht in ihrem Interesse gewesen – noch nicht.
»Mr. Lucius Stourbridge hat mir erzählt, dass Treadwell die Kutsche ohne Erlaubnis genommen habe, und zwar am Nachmittag des Tages, an dem er anscheinend getötet wurde«, begann er. Er nahm noch einen Happen von der Pastete. Sie schmeckte gut, und er hatte Hunger. Während er schluckte, fuhr er fort. »Er lebt zusammen mit seinen Eltern in Bayswater.«
»Gehört die Kutsche ihm oder seinen Eltern?«, fragte Robb und hielt seinem Großvater noch ein Stück Brot hin. Dann wartete er mit besorgter Miene ab, während der alte Mann einen Hustenanfall erlitt und blutigen Schleim in ein Taschentuch spuckte. Automatisch reichte Robb ihm ein sauberes und dazu eine Tasse Wasser, die der alte Mann wortlos mit kleinen Schlucken leerte.
Es war eine gute Frage und um sie zu beantworten, musste Monk zu einer List greifen.
»Der Wagen gehört der Familie und es ist auch nicht der Beste, den sie besitzen.« Das war die Wahrheit, wenn auch nicht die ganze.
»Warum hat man sich an Sie gewendet, statt an die Polizei?«, wollte Robb wissen.
Auf die Frage war Monk gefasst gewesen. »Weil er gehofft hatte, die Kutsche wieder zu bekommen, ohne die Polizei zu bemühen«, antwortete er. »Treadwell ist der Neffe ihrer Köchin und Mr. Stourbridge wollte nicht unbedingt ein polizeiliches Verfahren in Gang setzen. Was sich jetzt natürlich nicht länger vermeiden lässt, falls es sich bei dem Toten tatsächlich um Treadwell handelt.«
Robb maß mit großer Sorgfalt ein wenig Pulver aus einem Papiertütchen in ein Glas ab, wickelte den Rest wieder ein und legte das Tütchen in ein Regal. Dann rührte er etwas Wasser in die Medizin und hielt dem alten Mann das Glas an die Lippen.
Monk warf einen Blick auf das Regal, wo ihm neben den Papiertütchen mehrere andere Behältnisse auffielen: ein Glaskrug mit getrockneten Blättern, die wahrscheinlich für einen Aufguss bestimmt waren, daneben eine Phiole sowie zwei Krüge mit weiteren Papierbehältern für Pulver. So viele Medikamente mussten eine Menge kosten. Er musste an Robbs ausgefranste und sorgfältig geflickte Manschetten denken, an die abgetretenen Absätze seiner Stiefel, an den zugenähten Riss im Ellbogen seines Jacketts. Es überraschte ihn selbst, wie viel Mitleid er für den Mann empfand, der so viel Mühe auf sich nahm, um seinen Großvater zu versorgen. Und plötzlich trat an die Stelle des Mitleids ein
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