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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wie alle anderen auch. Natürlich hatte er am Revers die Abzeichen seiner Orden, aber wenn man eine Weile auf See war, weiß man, dass diese Dinger binnen Tagen anlaufen.« Er schüttelte noch einmal verständnislos den Kopf.
    »Und niemand kann sie während einer Schlacht deutlich sehen. Da ist überall Rauch. Man würde glatt seine eigene Mutter nicht erkennen, wenn sie nur ein paar Fuß von einem entfernt wäre!«
    Er hielt kurz inne, um Atem zu schöpfen.
    Hester dachte flüchtig darüber nach, ihm noch eine Tasse Tee zu bringen, aber sie verwarf diesen Gedanken und wartete.
    Er nahm seinen Bericht wieder auf und berichtete ihr von der Siegesnachricht und der großen Trauer, die die ganze Flotte befiel, als sie erfuhr, dass Nelson tot war. Dann erzählte er von den Verlusten an Schiffen und Männern, den Verwundeten, dem Sturm, der anschließend aufkam und das Zerstörungswerk vollendete. Er beschrieb das alles mit einfachen, lebhaften Worten und war dabei so aufgewühlt, als lägen diese Dinge nicht schon fünfundfünfzig Jahre, sondern erst wenige Wochen zurück.
    Er schilderte, wie sie Nelsons Leichnam in ein Fass mit Brandy gelegt hatten, um ihn zu konservieren und ihn dann, wie es sein Wunsch gewesen war, in England zu begraben.
    »Er war so ein kleiner Mann. Reichte mir nur bis ans Kinn«, sagte er mit einem Schniefen. »Wirklich komisch, das. Er errang die größten Siege, rettete unser Land vor den Franzosen, und wir liefen mit den Flaggen auf halbmast ein, als hätten wir verloren – weil er gefallen war.« Er schwieg eine Weile.
    Hester erhob sich, setzte den Teekessel wieder auf und bereitete ihm ein leichtes Abendessen zu.
    Nachdem er mit einigem Appetit gegessen hatte, berichtete er ihr von Nelsons Beerdigung, zu der ganz London erschienen war, um ihm das letzte Geleit zu geben.
    »Sie haben ihn in einem speziellen Sarg beerdigt«, fügte er stolz hinzu. »Schlicht und einfach wie der Tod. Oder das Meer. Der Sarg war aus Holz gezimmert, das von dem Wrack des französischen Admiralsschiffs bei der Seeschlacht am Nil stammte. Wie er sich gefreut hatte, als Hallowell es ihm seinerzeit übergab, dieses Holz. Er hat es all die Jahre über aufbewahrt. Sie haben ihn in der Painted Hall im Greenwich Hospital aufgebahrt. Die ersten Trauergäste kamen am vierten Januar. Der Prinz von Wales persönlich.«
    Er holte tief Luft und stieß sie in einem krächzenden Husten wieder aus, hob dann aber hastig die Hand, um zu verhindern, dass sie ihn unterbrach. »Vier Tage war er dort aufgebahrt. Und die ganze Welt kam, um ihren Respekt zu erweisen. Dann, am Mittwochmorgen, brachten wir ihn flussaufwärts. Der Sarg wurde auf einer der für König Charles II. angefertigten Barkassen befördert, – er war ganz mit schwarzem Samt verhüllt und mit Pfauenfedern geschmückt. Elf weitere Barkassen gaben ihm mit den Londoner Stadtzünften und ihren wehenden Bannern das Geleit. Ich hab noch nie in meinem Leben so viel Gold und so viele prächtige Farben gesehen. Und eine steife Brise hatten wir an diesem Tag. Den ganzen Weg bis nach Whitehall Stairs wurde jede Minute ein Schuss abgegeben.«
    Er hielt abermals inne und blinzelte heftig, konnte aber nicht verhindern, dass ihm Tränen über die Wangen liefen.
    »Am nächsten Tag brachten wir ihn nach St. Pauls. Eine riesige Prozession war das, aber meist Leute vom Heer. Von der Marine waren nur wir dabei – die Besatzung der Victory.« Seine Stimme brach, aus Trauer, aber auch aus Stolz. »Ich war einer von den Männern, die unsere Gefechtsfahne trugen. Ab und zu entrollten wir sie, so dass die Menge die Einschusslöcher sehen konnte. Alle haben sie den Hut gezogen, als wir vorbeimarschiert sind. Es war ein Geräusch wie das Rauschen der Wellen auf See.« Er rieb sich die Wange. »Es gibt nichts, das mich veranlassen könnte, mit jemandem den Platz zu tauschen, der damals nicht dabei war.«
    »Alles andere hätte ich auch nicht verstanden«, antwortete sie und lächelte. Sie schämte sich nicht, dass auch sie zu weinen begonnen hatte.
    Er nickte. »Sie sind ein liebes Mädchen. Sie wissen, was das heißt, nicht!« Es war eine Feststellung, keine Frage.
    Bevor sie eine Antwort geben konnte, wurde die Tür geöffnet , und Michael Robb trat ein. Erst da wurde ihr bewusst, dass es bereits Abend war. Sie lief vor Verlegenheit rot an. Automatisch erhob sie sich.
    Michaels Verärgerung ließ sich nicht verbergen. Er sah die Tränen im Gesicht des alten Mannes und drehte sich mit

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