Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Motiv habe als den Wunsch, ihm ein wenig Fürsorge angedeihen zu lassen, so wie es mein Beruf verlangt. Und ich würde gern mit ihm über alte Erinnerungen reden, die ich mit niemandem teilen kann, der nicht die gleichen Erfahrungen gemacht hat wie ich. Die Zukunft wird erweisen, ob Sie mir glauben können oder nicht.« Und ohne auf seine Antwort zu warten, drehte sie sich um und ging wieder ins Haus.
    Hester blieb viel länger, als sie beabsichtigt hatte. Zunächst hatte sie nur einige Fragen nach dem Leben beantwortet, das sie in dem Hospital in Scutari geführt hatte, und schließlich erzählte sie noch ein wenig von Florence Nightingale. Der alte Robb wollte wissen, wie Miss Nightingale aussah, wie sie sich benahm, wie ihre Stimme klang, ja sogar wie sie sich kleidete. Sie war so bekannt, dass selbst die kleinsten Einzelheiten sein Interesse weckten. Hester antwortete nur allzu bereitwillig, obwohl die Erinnerungen an diese Zeit so deutlich waren, dass sie das Blut und den Essig wieder zu riechen glaubte, den Übelkeit erregenden Geruch von Wundbrand und anderen Krankheiten. Sie konnte die sommerliche Hitze spüren und das Summen der Fliegen hören, als befände sich hinter dem Haus eine türkische Straße.
    Im Lauf des Nachmittags schlief Mr. Robb schließlich ein, und sie konnte ein wenig die Küche aufräumen. Nachher wollte sie ihm noch eine Tasse aufbrühen, falls er es wünschte. Sie selbst könnte selbst etwas Tee vertragen.
    Sie öffnete den geschlossenen Schrank, um nachzusehen, ob sich dort etwas fand, das ihm im Fall eines neuerlichen Hustenkrampfs helfen konnte, Kräuter vielleicht, wie Kamille, um den Magen zu beruhigen, oder Mutterkraut gegen Kopfschmerzen. Vielleicht gab es sogar ein wenig Chinin, um das Fieber zu senken. Sie stellte erfreut fest, dass all diese Dinge vorhanden waren und daneben auch ein kleines Päckchen, das nach Morphium aussah. Sie befeuchtete einen Finger und kostete etwas von dem weißen Pulver. Es war tatsächlich Morphium. Alles in allem hatte sie einen recht gut bestückten Medizinschrank vor sich, zu exakt auf seine Bedürfnisse abgestimmt, um an eine zufällige Zusammenstellung zu denken, und zu teuer, um von dem Lohn eines Polizeisergeanten bezahlt werden zu können.
    Sie ließ die Schranktür wieder zuklappen und blickte nachdenklich vor sich hin. Morphium war eines der Medikamente, die im Krankenhaus verschwanden. Sie hatte genau wie alle anderen vermutet, dass es für Süchtige gestohlen wurde, die es gegen Schmerzen bekommen hatten und jetzt nicht mehr ohne es leben konnten. Aber vielleicht war es auch gestohlen worden, um die Kranken damit zu versorgen, die nicht ins Krankenhaus kommen konnten, Menschen wie John Robb. Natürlich war es Diebstahl, aber sie konnte diese Art von Diebstahl nicht verurteilen.
    Die Frage, die sie brennend interessierte, war eine andere. Wer hatte die Medikamente beschafft, und wusste Michael Robb darüber Bescheid? War das vielleicht mit ein Grund, warum ihr Besuch ihn so aufgebracht hatte?
    Der alte Mann selbst, der so friedlich in der Nachmittagssonne schlief, musste wissen, wer diese Dinge ins Haus brachte, aber würde ihm auch bekannt sein, dass jemand sie gestohlen hatte? Vielleicht ahnte er etwas, aber eigentlich hielt sie es für unwahrscheinlich. Sie würde ihn nicht danach fragen. Sie setzte sich auf einen Stuhl und wartete geduldig, dass er wieder erwachte, dann würde sie ihm noch einen Tee mit Honig kochen.
    Er wachte erfrischt aus seinem Schlaf auf und war hocherfreut, dass sie noch immer da war. Er wartete nicht einmal ab, bis sie den Tee zubereitet und ihnen beiden eine Tasse eingeschenkt hatte, und fing sofort an zu reden.
    »Sie haben mich nach meiner Zeit auf See gefragt«, begann er munter. »Ja, das Größte damals war die Schlacht, nicht wahr?«
    Er sah sie erwartungsvoll und mit leuchtenden Augen an.
    »Die Schlacht?«, fragte sie und drehte sich zu ihm um.
    »Na, kommen Sie schon, Mädchen! Es gibt nur eine einzige Schlacht für einen Seemann – nur eine einzige Schlacht für England – wirklich für England, meine ich!«
    Sie lächelte. »Oh… Sie sprechen von Trafalgar?«
    »Natürlich spreche ich von Trafalgar! Sie nehmen mich nicht ernst, oder?«
    »Sie waren bei Trafalgar dabei! Wirklich?« Sie war beeindruckt und ließ es sich deutlich anmerken.
    »Klar war ich das. Das werde ich nie vergessen und wenn ich hundert werde – was nicht passieren wird. Ein großer Tag war das… und ein schrecklicher. Ich

Weitere Kostenlose Bücher