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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Sie musste jemanden schützen. Hatte sie überhaupt eine Vorstellung davon, was das für sie bedeutete?
    »Hat Treadwell Sie bedroht?«, fragte er.
    »Nein.« Aber sie schien über diese Frage nicht im Geringsten überrascht zu sein. Wen schützte sie? Cleo Anderson, die fast wie eine Mutter für sie gewesen war? Einen Geliebten von früher oder vielleicht einen Verwandten ihres ersten Mannes?
    »Hat er jemand anderen bedroht? Hat er Sie erpresst?«, hakte Monk nach. »Hat Treadwell Sie wegen etwas erpresst, das mit Ihrem Leben hier in Hampstead zusammenhing?«
    »Nein.« Wieder hob sie den Kopf. »Es gab nichts, womit er mich hätte erpressen können.« Tränen traten ihr in die Augen , dann versank sie wieder in Apathie. Die nüchterne Zelle mit dem hölzernen Bettgestell und der Strohmatratze, die nackten Wände und die drückende Luft nahm sie kaum wahr. Sie war ganz in sich selbst versunken und hatte keine Vorstellung davon, was geschehen würde, wenn sie sich nicht verteidigte.
    Er betrachtete ihre zusammengesunkene Gestalt auf dem Stuhl, halb abgewandt von ihm und teilnahmslos.
    »Miriam!« Er streckte die Hand aus und berührte sie. Ihr Körper war wie erstarrt. »Miriam! Was ist passiert? Warum haben Sie das Haus der Stourbridges verlassen? Hatte es etwas mit Treadwell zu tun?«
    »Nein…« Ihre Stimme klang ein wenig lebhafter als zuvor.
    »Nein«, wiederholte sie. »Es hatte nichts mit Treadwell zu tun. Er war nur so freundlich, mich zu kutschieren.«
    »Sie haben ihn einfach darum gebeten, und er war einverstanden?«, fragte er überrascht. »Wollte er nicht wissen, warum?«
    »Nein, keine Gründe. Bezahlung.«
    »Sie haben ihm Geld gegeben?«
    »Mein Medaillon. Es ist nicht wichtig.«
    Dass sie sich vielleicht von einem persönlichen Schmuckstück trennte, zeigte, wie groß ihre Verzweiflung gewesen sein musste. Er fragte sich, was aus dem Medaillon geworden war. Man hatte es nicht bei Treadwells Leiche gefunden. Hatte der Mörder es mitgenommen?
    »Wo ist es jetzt?«, fragte er sie. »Haben Sie es wieder an sich genommen?«
    Sie runzelte die Stirn. »Wo es ist? Ist es denn nicht bei ihm…
    bei seiner Leiche?«
    »Nein.«
    Sie zuckte leicht mit den Schultern. »Dann weiß ich es nicht. Aber es spielt keine Rolle. Verschwenden Sie Ihre Energie nicht auf diese Frage, Mr. Monk. Vielleicht findet es seinen Weg zu jemandem, der Gefallen daran findet. Ich würde mich freuen, wenn es nicht in irgendeinem Rinnstein landet, aber wenn es so wäre, könnte ich es jetzt auch nicht mehr ändern.«
    »Worauf sollte ich denn Ihrer Meinung nach meine Energie verwenden, Miriam?«
    Sie schwieg so lange, dass er seine Frage gerade wiederholen wollte, als sie endlich antwortete.
    »Sprechen Sie Lucius Mut zu…« Ohne Vorwarnung verlor sie die Beherrschung, beugte den Kopf vor und schlug sich die Hände vors Gesicht. Ein heftiges Schluchzen schüttelte ihren Körper.
    Wie viel er darum gegeben hätte, ihr zu helfen. Sie war allein und schutzlos. Er streckte die Hand aus und umfasste ihren Arm.
    »Worte werden ihn nicht trösten, wenn Sie auf der Anklagebank sitzen oder wenn der Richter Sie zum Tod durch den Strick verurteilt! Sagen Sie mir die Wahrheit, so lange ich noch etwas tun kann! Warum haben Sie das Haus der Stourbridges verlassen? Und wenn Sie darüber nicht sprechen wollen, sagen Sie mir wenigstens, was in Hampstead passiert ist. Wer hat Treadwell getötet? Wo waren Sie? Warum sind Sie weggelaufen? Vor wem haben Sie Angst?«
    Sie brauchte einige Augenblicke, um sich wieder zu fassen. Sie putzte sich die Nase, dann antwortete sie ihm mit einer leisen, erstickten Stimme.
    »Ich kann Ihnen nicht sagen, warum ich weggegangen bin, nur dass mir nichts anderes übrig blieb. Was in Hampstead geschah, ist sehr einfach. Treadwell wurde überfallen und ermordet. Vielleicht war es meine Schuld, aber ich habe es nicht getan, das schwöre ich. Ich habe nie in meinem Leben jemandem absichtlich wehgetan.« Sie sah ihn mit rot geränderten Augen an. »Bitte, sagen Sie das Lucius, Mr. Monk. Ich habe noch nie jemandem wissentlich Schmerz zugefügt. Ich möchte, dass er glaubt…« Ihre Worte gingen in einem Schluchzen unter.
    »Das glaubt er ohnehin«, beruhigte er sie. »Es ist nicht Lucius, um den Sie sich Sorgen machen müssen. Ich bezweifle, dass er jemals schlecht von Ihnen denken wird. Es sind die anderen, vor allem Sergeant Robb und später dann die Geschworenen, mit denen Sie es zu tun haben werden. Es sei denn, Sie machen

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