In feinen Kreisen
die Liste entgegen, steckte sie in die Tasche und dankte ihr. Dann wandte er sich wieder Phillips zu.
»Über welchen Zeitraum haben sich diese Fehlbeträge angesammelt, Mr. Phillips?«
»Das kann ich nicht sagen, Sir«, erwiderte Phillips prompt.
»Ich hatte schon seit einer ganzen Weile keinen Anlass mehr, eine so detaillierte Überprüfung vorzunehmen. Es könnte sich um mangelnde Sorgfalt bei der Abmessung von Medikamenten handeln, vielleicht hatte sogar jemand etwas verschüttet.« Seine dunklen Augen waren ausdruckslos, und seine Stimme klang sehr vernünftig. Er drehte sich um, um Thorpe mit in das Gespräch einzubeziehen. »Wahrscheinlicher ist jedoch, dass in der Hektik einer schlimmen Nacht oder in einem Notfall jemand nicht richtig aufgeschrieben hat, was entnommen wurde. So etwas kann schon einmal vorkommen. Die Medizin ist eine Kunst, Mr. Thorpe, keine exakte Wissenschaft.«
»Verdammt noch mal, Mann!«, platzte es aus Thorpe heraus.
»Erzählen Sie mir nicht, wie ich in meinem eigenen Krankenhaus Medizin zu machen habe!«
Phillips antwortete nicht, und Thorpes Zorn schien ihn nicht besonders zu beeindrucken, was den anderen Mann einerseits noch mehr in Rage brachte, ihn andererseits aber derart verwirrte, dass er in Schweigen verfiel. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ein Apotheker ihm mit solcher Gleichgültigkeit gegenübertreten würde.
Phillips wandte sich an Robb. »Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann, Sergeant, wäre das sicher in Mr. Thorpes Sinn. Sie brauchen es mir nur zu sagen. Und bevor Sie mich danach fragen, ich habe keinen Verdacht gegen irgendeine bestimmte Krankenschwester… nicht in dieser Hinsicht. Einige von ihnen trinken ein wenig zu viel Portwein auf nüchternen Magen. Aber das tut wohl halb London von Zeit zu Zeit, wenn Sie mich fragen. Vor allem da Portwein einen Teil der Bezahlung für Krankenschwestern ausmacht. Wenn Sie mich suchen, ich bin außer sonntags jeden Tag im Krankenhaus.« Dann reichte er Thorpe die Schlüssel und ging hinaus.
»Impertinenter Dummkopf!«, fluchte Thorpe leise.
»Aber ehrlich?«, fragte Robb.
Hester sah den Widerwillen in Thorpes Gesicht. Er hätte Phillips nur allzu gern für seine Arroganz bestraft, und diese Gelegenheit war wie geschaffen dafür. Andererseits wäre es ein Eingeständnis seiner eigenen Inkompetenz gewesen, hätte er zugegeben, dass er einen Apotheker eingestellt hatte, dem er nicht vertraute.
Aber für den Fall, dass die Versuchung doch zu groß war, nahm Hester ihm die Antwort ab.
»Selbstverständlich ist Mr. Phillips ehrlich, Sergeant«, sagte sie mit einem Lächeln. »Glauben Sie, Mr. Thorpe hätte zugelassen, dass der Mann in einer so verantwortungsvollen Position verbleibt, wenn er nicht in jeder Hinsicht vertrauenswürdig wäre? Wenn eine Krankenschwester mal ein klein wenig beschwipst den Dienst antritt, ist das eine Sache. Sie verschüttet vielleicht einen Eimer Wasser oder versäumt es, den Fußboden aufzuwischen. Wenn ein Apotheker nicht über jeden Tadel erhaben ist, könnte das Menschenleben kosten.«
»Ganz recht!«, schaltete Thorpe sich hastig ein. Er warf Hester einen giftigen Blick zu und gab sich dann beträchtliche Mühe, seine Miene in den Griff zu bekommen, bevor er sich an Robb wandte. »Bitte, befragen Sie jeden, den Sie zu befragen wünschen. Ich befürchte allerdings, dass Sie keine Beweise dafür finden werden, dass dieses elende Frauenzimmer das Chinin und Morphium gestohlen hat. Wenn es solche Beweise gäbe, hätten wir selbst schon lange davon erfahren. Ich darf doch davon ausgehen, dass Sie sie in Gewahrsam genommen haben?«
»Ja, Sir, das haben wir. Ich danke Ihnen für Ihr Entgegenkommen, Sir«, sagte Robb, dann wünschte er ihnen allen noch einen schönen Tag.
Hester sah Callandra von der Seite an, dann entschuldigte sie sich ebenfalls. Sie musste sich um andere Dinge kümmern und zwar dringend.
Hester hatte keine Mühe, die Erlaubnis zu bekommen, Cleo Anderson in ihrer Zelle zu besuchen. Sie erklärte dem Gefängniswärter einfach, dass sie vom Hospital, in dem Cleo arbeitete, geschickt worden war und dass sie gewisse medizinische Informationen von ihr benötigten, um die Behandlung der Patienten in ihrer Abwesenheit fortsetzen zu können.
Es stellte sich heraus, dass der Gefängniswärter Cleo kannte – sie hatte seiner Mutter in ihrer Krankheit beigestanden, bevor sie gestorben war –, und er war nur allzu gern bereit, ihr diese Freundlichkeit zu vergelten, wo er
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