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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wichtig?«
    Warum fragte er? Waren ihm die Diebstähle gleichgültig? Oder war er so überzeugt von Cleos Schuld, dass die Einzelheiten keine Rolle spielten?
    »Ich möchte es nicht beweisen«, antwortete sie gelassen und sah ihm in die Augen. »Wenn irgend möglich, würde ich gern das Gegenteil beweisen, aber wenn mir das nicht gelingt, möchte ich es wenigstens verstehen.«
    »Die Anklage gegen sie lautet auf Mord, Mord an Treadwell«, erwiderte er leise. »Das ist eine Schuld, von der die Geschworenen sie nicht lossprechen können, ganz gleich, was sie insgeheim darüber denken. Es gibt kein Gesetz, das die Ermordung von Erpressern oder den Diebstahl von Medikamenten erlaubt, selbst wenn sie für alte und kranke Menschen bestimmt sind.« Die Schärfe in seiner Stimme verriet nur allzu deutlich, wie er selbst über diese Dinge dachte.
    »Das weiß ich«, sagte sie, und ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. »Ich würde trotzdem gern genau wissen, wie sie es angestellt hat.«
    Er ließ etliche Sekunden verstreichen, ohne ihr zu antworten. Sie wartete. Sie wäre am liebsten weggelaufen, bevor es zu spät war.
    »Welche Medikamente hat sie denn genommen, was glauben Sie?«, fragte Kristian endlich.
    Sie schluckte. »Morphium für einen alten Mann, der die Schwindsucht hat. Es wird ihn nicht heilen, aber es verschafft ihm ein wenig Linderung.«
    »Sehr verständlich«, antwortete er. »Ich hoffe, sie hat ihm auch ein wenig mit Wasser verdünnten Sherry gegeben?«
    »Ich glaube schon.«
    »Gut. Ich brauche selbst einige Dinge aus der Apotheke. Ich gehe jetzt die Schlüssel holen. Sie können mir helfen, wenn Sie so freundlich sein wollen.« Und ohne auf ihre Antwort zu warten, drehte er sich auf dem Absatz um und ging davon.
    Ein paar Minuten später kam er mit den Schlüsseln zurück und öffnete die Tür. Er trat in den Raum, und sie folgte ihm. Dann machte er sich daran, verschiedene Schränke aufzuschließen und Teeblätter für Aufgüsse herauszunehmen, Stärkungsmittel und diverse Pulver. Einige dieser Dinge reichte er an Hester weiter, während er selbst Flaschen und Krüge öffnete und wieder verschloss. Als er fertig war, schob er sie aus dem Raum, schloss die Tür wieder ab, nahm ihr einige der Medikamente ab, bedankte sich bei ihr und ließ sie allein im Korridor zurück – mit einer kleinen Flasche Stärkungsmittel und Morphium für eine ganze Woche sowie einigen kleinen Papiertütchen mit Chinin.
    Sie schob die Medikamente hastig in ihre Taschen und ging wieder zum Eingangsportal. Ihr war, als bohrten sich ihr Dutzende von Augenpaaren in den Rücken, aber tatsächlich kam sie nur an einer Krankenschwester mit Schrubber und Eimer vorbei und an Fermin Thorpe persönlich, der mit starrer Miene ausschritt und sie kaum registrierte.
    John Robb war überglücklich, Hester zu sehen. Er hatte eine schlimme Nacht hinter sich, fühlte sich aber jetzt am späten Nachmittag ein wenig besser. Sein Gesicht leuchtete auf, als sie eintrat.
    »Guten Tag!«, sagte er freudig. »Wie geht es Ihnen?«
    »Mir geht es glänzend«, antwortete sie wohlgelaunt. Er durfte auf keinen Fall von Cleo erfahren. »Ja, mir geht es wirklich gut. Und Ihnen? Ich hoffe, Sie trinken mit mir eine Tasse Tee? Ich habe eine Sorte mitgebracht, die Sie vielleicht gern einmal probieren möchten, und dazu ein paar Kekse.« Sie lächelte.
    »Natürlich ist das alles nur ein Vorwand, damit Sie mir noch mehr über Ihr Leben auf See erzählen und über die Länder, die Sie gesehen haben. Sie wollten mir von Indien berichten. Sie sprachen davon, wie das Wasser dort leuchtet, wie Juwelen, und dass Sie dort Fische gesehen hätten, die fliegen konnten.«
    »Oh, Mädchen, und ob ich das gesehen habe«, pflichtete er ihr glücklich bei. »Das und noch vieles mehr. Setzen Sie schon mal den Kessel auf, dann erzähle ich Ihnen alles, was Sie wissen wollen.«
    »Natürlich.« Sie nahm die Kekse und den Tee aus dem Beutel, in dem sie sie mitgebracht hatte, füllte den Kessel mit Wasser und stellte ihn auf den Herd. Als Nächstes nahm sie, dem alten Robb den Rücken zugekehrt, die Flasche mit dem Stärkungsmittel heraus und versteckte sie halb hinter einem blauen Beutel mit Zucker. Zu guter Letzt zog sie unauffällig das Morphium aus ihrer Rocktasche und schob es unter die beiden dünnen Papiertütchen, die noch von Cleos letztem Besuch übrig waren.
    »War es sehr heiß in Indien?«, fragte sie.
    »Sie können sich nicht vorstellen wie heiß, Mädchen«,

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