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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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nützlich zur Beschreibung der Welt, die wir kennen – für jede Kraftwirkung gibt es eine gleiche, aber entgegengesetzte Wirkung, und ein gleichmäßig bewegtes Objekt wird sich gleichmäßig weiterbewegen, sofern nicht eine andere Kraft darauf einwirkt. Aber wenn man es mit Ereignissen in sehr kleinem Maßstab sehr genau nimmt, wenn man sich mit ihnen wie besessen in einer spezifischen Genauigkeit beschäftigt, wie einen das beinahe in ein Irrenhaus bringen könnte – dann findet man heraus, dass Newtons mechanische Beschreibung der Realität nur zum größten Teil korrekt ist. Bei winzigen Ausdehnungen von Raum und Zeit kommt ein Element von Unentschiedenheit ins Spiel, von verzögerter Bestimmung, und man kann die Wahrheit aufgelockert finden wie ein noch nicht ganz gares Ei. In unserer normalen Welt spielt das kaum eine Rolle, weil die Wahrscheinlichkeit, könnte man sagen, überall fast gleich ist und überwältigend stark zugunsten von Newton. Aber hier verhält es sich anders. Hier ist die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen polarisiert, obwohl die Gesamtwahrscheinlichkeiten die gleichen sind. Es gibt in diesem Boden keine Elastizität, keine Ungewissheit, und so liegt hier draußen eine Menge in der Luft. Was wir befragt haben, war eine Tendenz, zu einer Person zu werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit eines Bewusstseins.«
    Schwarzbart schnaubte. » Welche Sprache war das, in der diese Wahrscheinlichkeit gesprochen hat?«
    » Die älteste«, antwortete Hurwood ungerührt.
    » Ist der Aufenthaltsort dieses Dings deshalb«, fragte Shandy unwillkürlich, » so schwer zu ermitteln?«
    » Ja«, bestätigte Hurwood, » und versucht es nicht einmal. Es ist nicht irgend wo – wo ist für dieses Phänomen eine ebenso unangemessene Vorstellung wie wer. Wenn Ihr nach ihm Ausschau haltet, versucht Ihr et was irgend wo und irgend wann zu entdecken, und auf dieser Basis könnt Ihr vieles finden, aber kein …«
    Er beendete den Satz mit einer vagen Handbewegung und einem langsam verklingenden Pfiff.
    Mindestens eine geschlagene Minute lang standen sie alle schaudernd in der kalten, dunklen Mulde, während Hurwood wieder und wieder geduldig einige unverständliche Ausdrücke rief. Shandy schaute sich um, um festzustellen, wie Beth sich hielt, aber Hurwood befahl ihm scharf, den Blick geradeaus zu richten.
    Endlich sagte Schwarzbart: » Diese Verzögerung war nicht Teil unserer Abmachung.«
    » Nun gut«, sagte Hurwood. Er sprach seine seltsamen Worte noch einmal, dann fügte er an Schwarzbart gewandt hinzu: » Geht, wenn Ihr wollt. Viel Glück dabei, in den Dschungel zurückzufinden.«
    Schwarzbart fluchte, blieb jedoch, wo er war. » Euer Geisterding prüft etwas für Euch nach, wie?«
    » Nein. Es wird sich irgendwann wieder manifestieren, aber es wird nicht dasselbe Wesen sein wie zuvor; obwohl es gleichzeitig auch kein anderes sein wird. ›Gleich‹ und ›verschieden‹ sind viel zu konkret. Und es wird nicht erfahren haben, was ich wissen will. Es wird es einfach diesmal zufällig wissen. Oder, wenn nicht diesmal, dann wird es ein anderes Mal über dieses Wissen verfügen. Es ist, als warte man darauf, dass bei einem Würfelspiel eine Zwei oder eine Zwölf kommt.«
    Wieder verstrich Zeit und endlich wurde einer von Hurwoods geduldigen Rufen erhört. Beth’ Vater unterhielt sich noch etwa eine Minute mit der ortlosen Stimme, dann hörte Shandy ihn durch den Schlamm trotten.
    » Ihr könnt jetzt alle überall hinschauen, wo ihr hinschauen wollt«, erklärte Hurwood.
    Shandy beobachtete Hurwood und fand den Anblick des ehemaligen Professors aus Oxford – zusammengekniffene Augen und verhärtete Kiefermuskeln – wenig ermutigend.
    » Leo«, sagte Hurwood angespannt, » haltet Elizabeth fest.«
    Der keuchende Friend kam dieser Bitte nur allzu gern nach. Beth schien immer noch in einer benommenen Trance zu sein, aber ihr Atem ging sehr schnell. Hurwood beugte sich vor und nahm den Holzkasten von seinem Gürtel; er lockerte den hölzernen Deckel mit den Zähnen und schüttelte ihn herunter. Shandy konnte nicht sehen, was in dem Kasten war. Dann trat Hurwood zu Beth und hielt ihr den Kasten mit der Öffnung nach oben unter die rechte Hand.
    » Schneidet ihr in die Hand, Leo«, befahl der alte Mann.
    Shandy lief los, aber lange bevor er die drei erreichen konnte, beugte Friend sich mit seiner Haarnadel vor, befeuchtete sich die Lippen und trieb Beth Hurwood die Nadel mit halb geschlossenen Augen in den Daumen.
    Das

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