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In Furcht erwachen

In Furcht erwachen

Titel: In Furcht erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Cook
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tun?

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    In diesem Moment hielt der Lastwagen in Yelonda an,
    und Grant mußte sich der drängenden Frage zuwenden,
    wie er die Reise nach Sydney fortsetzen sollte.
    Yelonda bestand aus ein paar heruntergekommenen
    Häusern, zwischen denen Hotels standen. Die Hälfte der
    Leute, die in den düsteren Straßen herumwanderten, wa‐
    ren entweder Aborigines oder Mischlinge.
    Der Harden River wand sich am Rand der Stadt vorbei,
    dunkel, eng und tief im Vergleich mit anderen Flüssen im Westen. Grant beschloß, am Morgen ein Stück flußabwärts
    zu gehen, um zu baden und sich zu rasieren.
    Der Fahrer stand neben ihm, während Grant seine Kof‐
    fer aus dem hinteren Teil des Lastwagens nahm, dann sagte
    er, eher als Feststellung denn als Einladung: «Kommen Sie auf einen Schluck mit rein.»
    «Nein danke», sagte Grant, «ich bin trocken.»
    «Trocken? Wollen Sie damit sagen, daß Sie nicht trin‐
    ken?»
    «Nur für den Moment nicht.»
    «Das kann ich sehen; ich hab gesagt, laß uns was trinken.»
    «Danke, Kumpel», sagte Grant geduldig, «aber ich hab
    das Trinken für eine Weile aufgegeben.»
    «Nun, ich werde ver ...», sagte der Fahrer; «wollen Sie etwa sagen, daß Sie einen Drink von einem Mann ausschla-gen, der Sie fünfzig verdammte Meilen mitgenommen hat?»
    Überzeugt davon, daß kein Geld zu haben im Westen
    kein Hinderungsgrund für das Trinken war, ging Grant
    nicht darauf ein, daß er pleite war. Statt dessen zuckte er verlegen die Achseln und murmelte: «Entschuldigen Sie,
    aber ich trink einfach nicht.»
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    «Also gut, dann hau ab, verdammt noch mal ...», sagte
    der Mann im Tonfall tiefster Geringschätzung, drehte sich um und war gleich darauf hinter den Flügeltüren eines Hotels verschwunden.
    Komischer Menschenschlag, diese Westler, dachte
    Grant, man kann mit ihren Frauen schlafen, ihre Töchter vergewaltigen, man kann auf ihre Kosten leben, kann sie betrügen und sich sozusagen alles erlauben, wofür man in einer normalen Gesellschaft verachtet wird. Aber sobald
    man es ablehnt, mit ihnen zu trinken, wird man zu ihrem Todfeind. Aber was zum Teufel soll’s? Er wollte nicht über den Westen oder seine Bewohner und ihre Eigenheiten
    nachdenken. Laß sie, wie sie sind. Wenn er erst einmal in Sydney war, würde er vielleicht nie wieder zurückkom-men.
    Er ging mit seinen Koffern auf den Fluß zu.
    Heute nacht würde er unter der Brücke kampieren, früh
    am Morgen baden, dann ein Stück auf der Straße hinunter‐
    gehen, um vielleicht noch etwas zu schießen, und danach wieder auf eine Mitfahrgelegenheit warten. Als er hundert Meter zurückgelegt hatte, war er tropfnaß vor Schweiß und
    stellte seine Koffer ab, um sich auszuruhen.
    Auf der gegenüberhegenden Straßenseite befand sich
    das Kino von Yelonda, ein vergleichsweise lebhafter Lichtfleck in der langweiligen Straße. Davor schlenderten Leute herum oder verschwanden während der Pause für ein paar
    Drinks über die Straße.
    Ein Poster auf der Vorderseite des hölzernen Gebäudes,
    welches als Theater durchging, warb für irgendeinen ob‐
    skuren Film, der in den Kriegsjahren entstanden war, wie Grant sich zu erinnern glaubte.

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    Er stand da, betrachtete die Kinogänger und fragte sich, warum das Zelluloidbild der amerikanischen Kultur so weit in dieses verlassene Land vorgedrungen war. Seltsam, daß diese verdorrten und wettergegerbten Westler von der Vorstellung des Krieges irgendeines amerikanischen Regis‐
    seurs fasziniert waren; daß sie dafür bezahlten, ihre Holzhäuser zu verlassen, stundenlang auf unbequemen Sitzen
    zu hocken und sich schweißtriefend einen schlecht ge‐
    machten Film über feierliche Heldentaten anzuschauen.
    Trotzdem: Laß sie, laß sie. Auch Städter gingen in
    mittelmäßige Filme, also was zum Teufel soll’s? Er wandte sich ab, nahm seine Koffer und war mit einemmal wie besessen vom Wort ‹Sydney›.
    Sydney.
    SYDNEY, in riesigen Großbuchstaben.
    Er schüttelte den Kopf und realisierte, daß er das Wort las.
    Es stand auf der Tür der Fahrerkabine eines Sattelschleppers, der in der Hauptstraße von Yelonda geparkt war.
    Es war die letzte Zeile eines ganzen Blocks aus Druck‐
    buchstaben auf der Tür. Grant trat zurück.

    J. CARRINGTON
    Transportunternehmer
    7 HOLDEN STREET

WYTON
SYDNEY

    Ein Sattelschlepper konnte gut in weniger als vier Tagen bis
    zur Stadt durchfahren. Vier Tage: Gütiger Gott, so lange konnte er es ohne Essen aushalten; außerdem würde ihn
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    das Geld, das er noch

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