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In Furcht erwachen

In Furcht erwachen

Titel: In Furcht erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Cook
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an, ihm zuzuwinken, als er noch rund
    fünfzig Meter entfernt war.
    Der Fahrer verlangsamte, und Grant konnte sehen, wie
    er ihn musterte. Sogar im Westen denkt ein Mann kurz dar‐
    über nach, ob er einen Fremden bei Einbruch der Nacht
    von der Straße auflesen soll oder nicht. Aber Grant machte offenbar einen guten Eindruck, denn der Fahrer hielt an.
    Grant ging hinüber und reckte seinen Kopf zum Fahrer‐
    fenster der Führerkabine hinauf.
    «Kann ich mitfahren, so weit wie Sie fahren?» fragte er.
    «Wohin wollen Sie denn, Kumpel?» fragte der Fahrer,
    ein etwa fünfunddreißigjähriger unrasierter Mann mit run‐
    dem Gesicht.
    «Eigentlich nach Sydney», sagte Grant entschuldigend.
    «Ich fahr nur bis Yelonda, Kumpel.»
    «Das war mir eine große Hilfe.»
    Der Fahrer überlegte erneut, ohne Grant aus den Augen
    zu lassen. Dann hatte er anscheinend eine Entscheidung ge‐
    troffen: «Geht in Ordnung, steigen Sie ein.»
    Als sie losfuhren, machte der Fahrer die Lichter an. In der Zwischenzeit war es fast vollständig dunkel geworden.
    Nach den endlosen Stunden unter dem Baum, in denen
    er nichts als unerklärliches Geraschel im toten Gras und ab und zu den unangenehmen Schrei einer Krähe gehört
    hatte, waren das Geräusch des Motors und das aufgesprungene Sitzleder, das er unter sich spürte, auf angenehme Weise beruhigend.
    «Woher kommen Sie?» fragte der Fahrer.

    153
    «Yabba.»
    «Schon lange unterwegs?»
    «Erst seit heute.»
    «In Schwierigkeiten?»
    «Verzeihung?»
    «Schwierigkeiten mit den Bullen?»
    «Nein. Ganz und gar nicht. Wie kommen Sie darauf?»
    «Ein Stadtbursche wie Sie, der Koffer trägt und solche
    Kleider anhat. Spricht einiges dafür, daß Sie nicht so reisen,
    weil es Ihnen Spaß macht.» Dann fügte er in verschwöreri-schem Tonfall hinzu: «Man kontrolliert die Züge und Flug-zeuge, nicht?»
    «Möglich. Ich weiß es nicht. Aber ich versichere Ihnen, daß ich keine Schwierigkeiten mit der Polizei habe.»
    «Das sagt sich leicht. Aber ich glaube Ihnen. Ist ja sowieso Ihre Sache. Hätte gar nicht erst fragen sollen. Entschuldigung.»
    Unerklärlicherweise fühlte Grant Schuld, pure Schuld.
    «Nein, wirklich, ich muß nach Sydney trampen, weil
    ich pleite bin.»
    «Sicher, in Ordnung. Wenn Sie es sagen.»
    Sie schwiegen. Grant, weil ihm die Worte fehlten, der
    Fahrer, weil er skeptisch war.
    Nicht, daß es eine Rolle spielt, dachte Grant, eigentlich war es eher amüsant. Eines Tages würde es Bestandteil jener
    guten Geschichte sein, die er über seine Abenteuer im
    Westen zum besten geben konnte. Doch halt, vielleicht
    sollte er sich die Geschichte über seine Abenteuer im
    Westen lieber verkneifen.
    Denn langsam wurde ihm klar, daß sein Hirn vor eini‐
    ger Zeit aufgehört hatte, sich wirklich mit den Ereignissen 154
    der vergangenen Tage auseinanderzusetzen, nun aber
    suchte es, forschte nach, erinnerte sich. Dabei gab es
    Dinge, die er besser nicht wissen wollte. Er spürte die kleine, grausame Klaue der Angst − das Geräusch des Känguruhs, das verschwand. Seltsam, daß er immer wieder
    daran dachte. Vermutlich gab es eine einfache Erklärung
    dafür. Aber was war mit den beiden Lichtexplosionen, die er in jener Nacht gesehen hatte und ... nein! Er würde nicht
    weiter daran denken.
    «Wie weit ist es bis Yelonda?» fragte er unvermittelt.
    «Etwa vierzig Meilen, würde ich sagen. Wir brauchen
    ungefähr zwei Stunden.»
    «Was glauben Sie, wie groß meine Chance ist, dort eine Mitfahrgelegenheit bis zur Küste zu bekommen?»
    «Groß, würd ich sagen. Wirklich groß. Die beste
    Chance haben Sie, wenn Sie in den Bars herumhangen. Da finden Sie bestimmt jemanden, der durchfahrt.»
    Als getupfte Lichter auf die Ebene fielen, lag endlich
    Yelonda vor ihnen. Solange noch Raddampfer den Harden
    River hinauf‐ und hinuntergefahren waren, fast über den
    halben Kontinent, wenn genug Wasser im Flußbett stand,
    war Yelonda eine blühende Stadt gewesen. Doch die Rad‐
    dampfer standen seit vierzig Jahren still, und Yelonda war vor neununddreißig Jahren gestorben. War es wirklich
    vierzig Jahre her, daß die Raddampfer ihren Betrieb eingestellt hatten? Er mußte das überprüfen, falls ihn einer seiner
    Schüler jemals danach fragte. Seine Schüler, gütiger Gott! Es
    war seltsam, wie er Dinge vergessen konnte, und dann
    drängten sie sich mit einemmal so gewaltsam in sein Be-wußtsein, daß es fast weh tat. Wann würde er seine Schüler
    wiedersehen? Und was würde er bis dahin

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