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In Furcht erwachen

In Furcht erwachen

Titel: In Furcht erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Cook
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    176

    Fünf

    Der Zug schaukelte unter den Sternen auf dem einsamen
    Schienenstrang über die Ebene und durch die Nacht, vorbei
    an den gelben Lichtrechtecken in den Fenstern der Farm‐
    häuser. Er schaukelte, schwankte und ratterte und bildete einen einlullenden Rhydimus aus Geräuschen und Bewegungen, den die Sänger aufnahmen und mit dem ihres Liedes verschmolzen.
    Sie sangen, denn ein Lied, war es erst einmal gelernt, brauchte lange, um im Westen zu sterben:

    «There is a heart that’s made for you,
    A heart that needs your love divine,
    A heart that could be strong and true,
    If only you would say you’re mine.
    If we should part my heart would break,
    Oh say that this will never be.
    Oh darling please, your promise make,
    That you’ll belong to only me.»

    Der Fußboden des Zuges war mit Papierfetzen und Essens‐
    resten übersät, ab und an flog eine Flasche aus einem Fenster, hielt für einen Moment Schritt mit dem Zug und fiel dann in den Staub der Ebene, ohne zu zerschellen.

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    Aus Gründen, die nur er selbst kannte, ließ der Loko‐
    motivführer das Dampfhorn ertönen, sein melancholisches
    Wehklagen strich über das verdunkelte Land, und Kängu‐
    ruhs, Rinder, Füchse und Dingos hoben fragend die Köpfe, bevor sie sich wieder ihren jeweiligen Beschäftigungen zu-wandten.
    John Grant saß mit dem Rücken zur Fahrtrichtung auf
    einem Fensterplatz und schaute in die Nacht hinaus.
    Er rauchte, nahm gelegentlich die Zigarette aus dem
    Mund und fuhr mit der Hand an die Stirn, um die frische Narbe in seinem kurzgeschnittenen Haar zu betasten.
    Voller Befriedigung betrachtete er das Fensterglas.
    In letzter Zeit hatte er eine tiefe Zuneigung für die sim-plen Dinge des Lebens entwickelt. Holz, Farben, Gerüche, die Berührung von Stoff, der Geschmack von Essen, der
    Trost von Zigaretten und Glas − nun, Glas war etwas Wunderbares ...
    ... Glas war das erste gewesen, was er gesehen hatte, als er im Krankenhaus zu sich gekommen war. Eine gläserne
    Spritze, eine riesige gläserne Spritze in der Hand einer Krankenschwester. Er lag auf einer Art Rollbahre in einem weißen Raum ohne Fenster.
    Die Krankenschwester stupste ihn an, damit er sich
    umdrehte und seine Hinterbacken entblößte − er trug
    offensichtlich eine Art weißes Nachthemd, das nur bis
    zur Taille reichte, aber nein, es war bloß hochgerollt worden.
    Die Krankenschwester stieß die Nadel der Spritze in seinen Allerwertesten und drückte den Kolben hinunter. Grant
    sah, wie die klare Flüssigkeit aus der Spritze in sein Fleisch gepreßt wurde.
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    «Was ist das?» wollte er wissen.
    «Ach, Sie sind wach?» sagte die Krankenschwester. Sie
    war um die Dreißig und eher unscheinbar.
    «Was ist das für ein Zeug?»
    «Etwas gegen Wundbrand.»
    Plötzlich wurde sich Grant bewußt, daß ein unglaub‐
    licher Schmerz seinen Kopf umklammert hielt. Er war die ganze Zeit über da gewesen, aber er war so stark, daß er ihn
    nicht bemerkt hatte. Der Schmerz war schockierend.
    Grant war ganz und gar nicht tot.
    Er ließ seinen Kopf nach unten sinken.
    «Wie schlecht geht es mir?» fragte er.
    «Das weiß ich nicht», sagte die Krankenschwester,
    «besser, Sie fragen den Doktor. Nicht besonders schlecht, würd ich sagen, eine leichte Gehirnerschütterung.»
    Grant fuhr mit der Hand an seinen Kopf und bemerkte
    den Verband.
    «Wie ist es passiert?» fragte die Krankenschwester.
    War es möglich, daß sie es nicht wußte? War es mög‐
    lich, daß niemand wußte, daß er jetzt das lächerlichste aller
    Geschöpfe war? Er, der gescheiterte Selbstmörder?
    «Ich bin mir nicht sicher», sagte Grant, und die Kran‐
    kenschwester schien sich damit zufriedenzugeben.
    Sie stieß die Rollbahre aus dem Zimmer auf einen Flur, in einen Lift, in einen anderen Flur und endlich in ein kleineres Zimmer.
    Sanft kippte sie ihn von der Bahre auf ein Bett. Bis auf das Bett und eine kleine, hölzerne Kommode war das Zimmer leer.
    Sie zog ein Leintuch über ihn und fragte: «Möchten Sie etwas essen?»

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    «Ja, bitte, ich glaub schon. Und etwas trinken. Und
    Schwester, ich hab furchtbare Kopfschmerzen.»
    «Na ja, was haben Sie erwartet?»
    Sie ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Er hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Er preßte die Hände gegen den schmerzenden Kopf und blickte sich
    im Zimmer um: Es gab nur ein kleines Fenster, hoch oben in die Rückwand eingelassen.
    Demnach wußten sie, daß es ein Selbstmordversuch
    war

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