In Furcht erwachen
aufrei‐
ßen, brennend und alles zerfetzend. Er nahm den Lauf aus dem Mund.
Durch das Herz? Er versuchte, das Gewehr auf seinen
Körper zu richten, aber so war es beinahe unmöglich, den Abzug zu erreichen.
Es schien auf jeden Fall besser, sich durch den Kopf zu schießen, das wäre einfach endgültiger.
Aber sein Kopf kam ihm nicht besonders verwundbar
vor.
Was für ein dummer Gedanke.
Er wiegte das Gewehr in seinen Armen. Es gab Leute,
die hielten Selbstmord für eine gottlose Sache. Katholiken behaupteten, er bedeute Verdammung. Was genau mein-ten sie mit Verdammung? Er zog das pantheistische «jetzt ist er Teil der Lieblichkeit, die er einmal lieblicher machte»
vor. Hieß es nicht so? Er jedenfalls hatte nichts lieblicher gemacht. Eher das Gegenteil.
Chesterton pflegte zu sagen, das große Unrecht des
Selbstmordes sei, daß es die ganze Welt eines Menschen
zerstörte. Sei’s drum, es machte ihm nichts aus, die ganze Welt zu zerstören, nicht im mindesten.
Und was war mit Robyn?
Robyn war ein Traum, ein Traum in weißem Rock. Ob
er sich nun das Leben nahm oder nicht: Robyn lebte in einer anderen Welt.
In einer anderen Welt? Angenommen, er stürzte sich in
irgendein anderes Leben. Aber die kalten Sterne bewiesen ihm, daß es kein anderes Leben gab.
Tatsache war, er konnte sich umbringen oder nicht. Er
mußte bloß eine Entscheidung fallen.
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Es gab etwas weiteres zu bedenken. Er konnte es ent‐
weder tun oder nicht, jede Entscheidung zog Konsequen‐
zen nach sich. Nur: Wenn er sich umbrachte, gab es keine Konsequenzen mehr. Dann blieb nichts.
Vermutlich blieb dann nichts. Viele Leute waren davon
überzeugt, daß es etwas gab nach dem Tod. Was, wenn die‐
ses Etwas für Selbstmörder unangenehm war? Aber wie
könnte er, der nie geglaubt hatte, es sei falsch, Selbstmord zu begehen, dafür büßen?
Das war Unsinn. Woher kam der Gedanke ans Büßen?
Büßen tat man hier und jetzt. Wenn er sich umbrachte, war
er tot und das Büßen damit beendet.
Und die Frage der Entscheidung? War Selbstmord die
Tat, die den Menschen freisprach von der Konsequenz und Verantwortung eigener Entscheidungen? Natürlich war sie
das. Wenn er sich das Leben nahm, war er tot, und damit war alles zu Ende.
Er schob den Gewehrbolzen zurück, bis er den Doppel‐
klick hörte, der bedeutete, daß es geladen war.
Jetzt bedurfte es nur des geringsten Drucks seines Fin‐
gers, und John Grants Schwierigkeiten fanden ein Ende.
Es war seltsam, daß er zögerte, sich umzubringen. Es
war doch wirklich eine ziemlich gute Idee. Es gäbe keinen Schmerz mehr, nur Vergessen, vermutlich für immer.
Allein schon, um herauszufinden, was danach kam, war es vernünftig, sich das Leben zu nehmen. Also mußte sich
umzubringen um so vernünftiger sein, wenn man damit
ein Problem löste.
Er suchte also tatsächlich nach Gründen, um den Selbst‐
mord zu rechtfertigen. Nun, es konnte nicht schaden, ein Weilchen darüber nachzudenken.
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Aber zur Hölle mit allem! Es blieb ihm gar nichts anderes übrig; die Zukunft bot keinerlei Hoffnung.
War das ernst genug, seinen Selbstmord zu rechtferti‐
gen? Morgen und übermorgen und überübermorgen und
für fünf Wochen in der Hitze von Bundanyabba, ohne
Geld, ohne Essen, ohne ein Heim, und danach ein Jahr in Tiboonda ... ja, es war ernst genug. Außerdem war der
John Grant, der er einmal gewesen war, jetzt eine besu-delte, eine erbärmliche Kreatur.
Er stützte die Mündung an seinem Kopf ab, den Lauf in beiden Händen, den Kolben auf dem Boden.
Er hatte wirklich genug von sich selbst, er wollte John Grant loswerden.
Und warum sollte er John Grant nicht loswerden?
Zur Hölle damit! Wenn es ihm in den Kram paßte, dann
brachte er sich um.
Und es paßte ihm in den Kram. Seine Hände krampften
sich um den Lauf. Bring es hinter dich! Mach es! Triff die Entscheidung! Drück den verfluchten Abzug!
Sofort, nur einen Augenblick noch, um sich zu wün‐
schen, es wäre anders, er wäre wieder ein bißchen mehr der Mann, für den er sich einst gehalten hatte. Nur einen Augenblick, um an Robyn und ans Meer zu denken.
Die Leere verflog, Schmerz überwältigte ihn. Er spürte
Tranen in seinen Augen brennen, sie liefen seine Wangen hinab, und er wußte nicht, ob er es tun sollte oder nicht.
Aber gütiger Gott, sein Leben war ein Schlamassel, und so griff er schluchzend nach unten und drückte den Abzug.
DER SCHLAG WAR SCHRECKLICH,
und dann war da nichts
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