In glücklichen Umständen
zischte: «Anhalten!»
Einen furchtbaren Augenblick lang glaubte ich, sie sei ein Bandit und würde gleich ein Schießeisen aus ihrem prallen EH ziehen und mein Leben oder den Tweedhut fordern. Sie hätte eine Maschinenpistole darin verstecken können, ohne daß es weiter aufgefallen wäre, aber sie hatte sich halb von mir abgewandt, und ich hätte sie mit ihrem Trödel bewußtlos schlagen und sie dann mit den schlaffen Rüschen eines ziemlich scheußlichen Partykleids erdrosseln können. Anschließend hätte ich mich mit der Bluse aus dem Staub machen können, wenn ich nur den Mumm gehabt hätte, das erstere zu tun. Aber als ich noch meine Chancen abwog, drehte sie sich wieder um und sagte, als verkünde sie den Tag des Jüngsten Gerichts: «Mein Alter!»
Ein grämlich und abgekämpft wirkender Mann schob genau vor uns ein sehr betagtes Fahrrad über das Feld. Er sah absolut harmlos aus. Zum einen war er halb so groß und halb so breit wie sie, und zum anderen schien er vollkommen ausgelaugt zu sein. «Sollen wir ihn nicht mitnehmen?» fragte ich mitfühlend. «Wenn wir die Sachen hinten ein bißchen zusammendrücken, können wir das Rad einfach drauflegen.»
Sie sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. «Er darf mich auf keinen Fall sehen», murmelte sie und versuchte, sich kraft schlichter Willensanstrengung unsichtbar zu machen. Sie drückte sich mit dem Gesicht nach unten an mich, offensichtlich in der Hoffnung, wir würden zu einer überdimensionalen Fahrerin mit zwei Köpfen verschmelzen. Ich blieb stocksteif sitzen und wußte nicht, wie ich mir Vorkommen sollte. Ihre Haare rochen nach Pastinakwurzeln und ihr Atem nach Zwiebeln. Es war, als würde ich in eine Schüssel mit altem Eintopf gedrückt. Ich versuchte, starr geradeaus zu sehen und ein Lied zu summen. Ich hätte gern gefragt, warum sie Angst davor hatte, ihn zu sehen oder von ihm gesehen zu werden, aber ich wollte sie auf keinen Fall verärgern. Ich wollte die Bluse.
Der Mann machte jetzt das Gattertor hinter sich zu, und einen schrecklichen Moment lang dachte ich, er würde in unsere Richtung kommen und ich müßte Gas geben und ihn plattwalzen, wie sie es selbst in Fernsehfilmen tun, die in scheinbar zivilisierten Gegenden spielen. Aber er überquerte die Straße, öffnete das Tor gegenüber und ging über das Feld, wohl um den Weg dahinter zu erreichen. Als er beinahe außer Sicht war, richtete sich die Frau ruckartig auf und strahlte mich an.
«Er hat was gegen Trödeln», erklärte sie gelassen.
Irgend etwas an dem Mann war mir vertraut vorgekommen. Etwas, das ich nicht identifizieren konnte. Hatte ich ihn schon einmal gesehen? Und wenn ja, wo? Wir fuhren den Hang hinauf, und am Ende eines langen, aufgeweichten Feldwegs kam das Farmhaus in Sicht. Ich hielt am Tor und sprang aus dem Wagen. Dann machte ich die Ladeklappe auf, während sie sich aus ihrer Tür quetschte, um eine gut gewählte zugefrorene Pfütze zu erreichen. Ich schob die Bluse unter den Tweedhut und raffte den Rest ihrer Sachen an mich, schleppte ihn zum Tor und gab ihn ihr. Sie dankte mir zerstreut, dachte offensichtlich nur daran, vor ihrem Mann im Haus zu sein, und eilte die Zufahrt hoch, ohne auch nur einen Blick auf den Trödelkram zu werfen, weil ihre Augen zu sehr damit beschäftigt waren, die ferne Gestalt des Gatten zu beobachten. Wenn man mich um meine Meinung gefragt hätte, hätte ich gesagt, daß sie beide in etwa demselben Moment an der Hintertür sein würden, sie vielleicht mit einer Nasenlänge Vorsprung, genug für die Goldmedaille.
Ich wäre am liebsten geblieben. Ich brannte darauf zu erfahren, wie es weiterging. Die Korsettschnüre schleiften durch den Dreck, während sie dahinwogte, und das Rüschenkleid flatterte wie eine Fahne im Wind. Ob sie ihren Schatz hinter den Schweinekoben versteckte, bevor sie ihrem getäuschten Ehemann mit gespitzten Lippen unter die Augen trat? Oder würde sie seinem Bannfluch trotzen, ihre schamlosen Luxusiummel schwenken und ihr heimliches Laster stolz beichten?
Doch mit der Seidenbluse unter dem Tweedhut konnte ich nicht länger darauf warten, es herauszufinden.
* 9 *
Erst nachdem ich den Wagen vor meinem Haus geparkt hatte, wurde mir klar, warum mir der abgekämpfte Farmer vertraut vorgekommen war. Es war nicht sein Gesicht -sondern das, was er anhatte. Ein originaler, langer, durchgehend gefütterter Offiziersmantel! Ich blieb wie angewurzelt stehen und hatte mich schon halb zur Farm umgewandt. Doch dann
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