In glücklichen Umständen
riß ich mich zusammen und ging entschlossen zum Haus, um dem entgegenzutreten, was auch immer mich drinnen erwarten mochte.
Die Küchentür zur Diele stand offen, aber alles war beunruhigend still. Ich ging zur Treppe und rief: «Ist jemand da?» Ich zog den Mantel aus und warf ihn auf die geschnitzte Kirchenbank, die ich für i Pfund beim Wohltätigkeitsbasar der St. Strabismus-Kirche gekauft hatte, wo sie versehentlich diverse Devotionalien mit auf den Ramschhaufen getan hatten. Von oben hörte ich Popmusik, so daß ich die Haustür wieder öffnete und anfing, den Wagen zu entladen. Ich nahm den Tweedhut mit der kostbaren Bluse und zog sie mit zitternden Händen heraus (hatte sie zu Haus vielleicht noch antike Capes?) und spürte, wie fein und weich sie war nach den vielen Jahren liebevoller Pflege. Endlich, nach all den Stunden, den Meilen, den Träumen und der Verzweiflung hatte ich einen der Schätze in der Hand, deretwegen wir uns schlaflose Nächte machten. Langsam ließ ich sie mir von den Schultern fallen, und sie hing elegant und kleidsam, nur etwas schief, wie beschämt -denn ein Ärmel fehlte.
«Sehr hübsch», sagte Ben hinter mir. «Wann soll die Amputation sein?»
Ich fuhr herum und starrte ihn an. Er muß den Ausdruck in meinen Augen richtig gedeutet haben, denn er sagte hastig: «Ich hab ein paar Neuigkeiten, um dich aufzuheitern. Demelza schlabbert eine Untertasse Tee, Emily hat sich gerade die Haare gewaschen, Phyllis hat einen Weihnachtsstern und den Ronay-Hotelführer von 1974 gegessen, und ich hab zum Tee einen Kuchen gebacken.»
«Fein», sagte ich, «ich dachte schon, sie hätte sich das Essen abgewöhnt.» Ich ging nach oben und öffnete die Tür zum Lesezimmer. Emily lag mit einem Frotteetuch um den Kopf auf der Couch und las ein Buch. Phyllis stand herausfordernd auf einem Haufen zerrissener Blätter, und ein Weihnachtsstern hing ihr aus dem Maul. Die Wasserschüssel stand falsch herum auf dem Boden.
«Sie scheint ein bißchen nervös zu sein, nicht wahr?»
«Hmmm», sagte Emily und blätterte eine Seite ihrer Liebesgeschichte um. Fetzen der Lobeshymne auf Brown’s Hotel lagen auf dem Vorleger verstreut.
«Sie scheint uns sagen zu wollen, daß sie einen VIP-Service erwartet», sagte ich, legte ihr die Arme um den dicken Hals und drückte sie zärtlich an mich.
«Sie hat sich übrigens übergeben», sagte Emily.
«Oh! Übrigens, ich hab eine antike Seidenbluse entdeckt.» Ich lächelte triumphierend und dachte nicht mehr an den Ärmel. Auf jeden Fall war es ein Punkt mehr für mich, einer weniger für Hosanna.
Emily blickte auf, und ich konnte sehen, daß sie geweint hatte. Ich lächelte, blickte weg und sagte: «Ich mach jetzt Tee, Schatz.» Ich ging wieder nach unten. Ich glaube, sie versetzte sich gerade in die weibliche Hauptperson des Romans und erkannte auch Ben in dem Buch wieder. Es gibt nichts Schlimmeres, als mitten in einem Tagtraum gestört zu werden.
Ben hatte den Kessel schon aufgesetzt. Ich fragte spitz: «Und was hast du den ganzen Nachmittag gemacht?» Ich wollte nämlich, daß sie zusammen glücklich waren.
«Das Telefon bedient, Kunden empfangen, mein charmantes anderes Ich kultiviert.» Er stellte drei Becher auf den Tisch und holte den Schokoladenkuchen heraus.
«Wer hat angerufen? Welche Kunden?» Ich nahm meinen Becher und eine Scheibe Kuchen. Ich war am Verhungern. Verplemperte Energie und hochgepeitschte Emotionen zwingen das Adrenalin, Appetit auszulösen. Wer schlank bleiben oder werden möchte, sollte immer sehr ruhig, gelassen, cool und müßig sein.
«Pa. Marsha. Ein Freund Beowulfs.»
«O Gott! Und wer war da?»
«Ein Bursche mit einem Whippet, der einen Pelzmantel trug.»
«Der Bursche?»
«Nein, der Whippet. Sie warten im Büro, wenn du dich selbst überzeugen willst.»
Ich sprang hoch wie von der Tarantel gestochen. «Mein Gott, warum hast du das nicht gleich gesagt?» Ich stürzte zur Tür.
Ben schenkte den Tee ein. «Er hat gesagt, er hat es nicht eilig. Er sah aus, als ob er ein bißchen Ruhe gebrauchen könnte. Du übrigens auch, als du hereinkamst.»
Ben hatte wie immer recht. Der junge Mann saß zusammengesunken und mit geschlossenen Augen am Kamin. Der Hund war über ihm ausgebreitet wie eine Felldecke. Ich hatte keine Ahnung, warum Ben ihn als Whippet bezeichnet hatte, aber dann tätschelte ich ihn und betastete seine Knochen, seine Rippen, die sich wie Wellblech anfühlten. Der junge Mann traf Anstalten aufzustehen, doch ich
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