In Gottes Namen
grüßt. Ich antworte mit dem üblichen Schön, Sie zu sehen, das für Leute reserviert ist, deren Namen ich vergessen habe. Ich tu das nicht gern, denn natürlich durchschauen sie mich ohne Ausnahme. Ich weiß das, weil früher die Leute das Gleiche mit mir gemacht haben.
Ich fahre runter ins Tiefgeschoss und treffe wie üblich als Letzter ein. Alle anderen bestellten Zeugen sind schon anwesend, und alle tragen sie ihre Namensschildchen. Unter ihnen sind auch drei oder vier Elternteile der von zu Hause abgehauenen Mädchen oder Prostituierten in steifen, schlecht sitzenden Anzügen und Kleidern. Ich habe mich ihnen gegenüber immer respektvoll verhalten, schließlich haben sie ihre Töchter verloren, aber in Wahrheit hatten sich die meisten von ihnen schon lange vorher von ihren Kindern verabschiedet. Ich unterdrücke das Bedürfnis, ihnen zu sagen, was ich schon damals gerne losgeworden wäre: Hätten Sie sich ein wenig mehr Zeit für Ihre heranwachsenden Töchter genommen, wären sie womöglich nicht auf der Straße geendet, als willkommene Beute eines Serienkillers. In ihren Gesichtern spiegelt sich ein gewisser Ernst, aber auch ein Gefühl von Wichtigkeit, das ihnen hier durch die allgemeinen Respektsbekundungen kurzzeitig zuteil wird. Immerhin sind sie amtlich bestellte Zeugen der Hinrichtung des berühmtesten Verbrechers der jüngeren Geschichte dieses Staates. Wie aufregend für sie.
Ich entdecke Maureen und David Danzinger, und mir wird flau. Nie werde ich ihre Gesichter vergessen, kurz nachdem sie ihre Tochter Ellie identifiziert hatten, die gerade ihr zweites Studienjahr in Mansbury absolvierte. Sie waren sofort aus Südafrika zurückgekehrt, als sie es erfuhren, konnten es aber nicht glauben, bis sie ihre Tochter tot auf der Bahre liegen sahen, mit einem riesigen klaffenden Loch dort, wo früher ihr Herz gewesen war. Sie hatten das ganze Jahr in der Stadt verbracht, auf den Prozess gewartet und dann keinen Tag der Verhandlungen versäumt.
Maureen Danzinger tritt auf mich zu und legt mir die Hand auf den Arm. Es ist jetzt mehr als sieben Jahre her. Sieben lange Jahre Warten auf diesen Tag, in der Hoffnung, dass er eine Art Abschluss bringt, obwohl sie in ihrem Herzen nie wirklich daran geglaubt hat. Ihr Haar ist ergraut, ihre Augen liegen tief in den Höhlen, und sie hat deutlich an Umfang zugelegt – aber vielleicht tröstet sie der Gedanke, dass der Mörder ihrer Tochter verurteilt wurde und in weniger als einer Stunde hingerichtet wird. Menschen denken so, wenn sie ein nicht enden wollender Schmerz peinigt. Sie brauchen Hoffnung. Niemand kann ihnen ihre Tochter zurückgeben, also konzentrieren sie sich auf erreichbare Ziele – wie die gerechte Strafe für den Mörder. Das wird den Knoten nicht lösen, aber vielleicht ein wenig lockern.
Ich begrüße ihren Ehemann David. Er trägt einen eleganten schwarzen Anzug, wie man ihn zu einer Beerdigung tragen würde, was ich interessant finde, da wohl niemand dem Hingerichteten wirklich nachtrauern wird, zumindest niemand in diesem Raum.
Joel Lightner nähert sich. Er grinst. Der Ex-Detective, der den Fall gelöst hat. Oder besser, dem der Fall samt Lösung in den Schoß gefallen ist, wie er selbst nach ein paar Drinks zu viel zugegeben hat.
»Bentley kommt nicht?«, fragt er eine Spur enttäuscht.
Er meint die Familie der zweiten Studentin, die ermordet wurde. Cassandra Bentley, Tochter von Harland und Natalia Lake Bentley. Ich schüttle den Kopf. Harland ist inzwischen Klient meiner privaten Anwaltskanzlei, wir sprechen mindestens einmal in der Woche miteinander, streifen dabei die Hinrichtung von Terry Burgos aber nur am Rande.
»Die Aasgeier hocken einen Raum weiter«, zischt mir Joel verächtlich zu. Das gilt den Reportern, die das große Los gezogen haben und sich hier auf dem Gelände befinden. Gleichzeitig ist es für ihn eine willkommene Gelegenheit, die Werbetrommel für sein neues Geschäft als exklusiver Privatermittler zu rühren. Bestimmt wird er den Medienleuten ein paar saftige Brocken hinwerfen.
Ich schiele nach rechts durch das Plexiglasfenster, hinter dem die Reporter an ihren Drinks nippen und Kekse kauen. Die Bestimmungen des Gefängnisdirektors sind eindeutig: Reporter haben Zutritt, dürfen aber nur mit Zeugen sprechen, die sich freiwillig dazu bereit erklären. Er hat sie bis zum Beginn der Vorstellung sogar in einen eigenen Raum verbannt. Im Moment halten sich keine Zeugen bei ihnen auf, was aber auch daran liegen kann, dass
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