In Gottes Namen
Musik vermutlich seit zwanzig Jahren keiner mehr »Disco« nennt. Für mich gibt es ohnehin nur zwei Arten von Musik: Jazz – und das ganze übrige Zeug. Heutzutage kommt es mehr darauf an, sich sexy in einem Video zu präsentieren, als gut singen zu können. Keiner erfindet noch neue Musik, man begnügt sich mit fantasielosen Variationen alter Stilrichtungen und verpasst ihnen neue Namen.
Ich nenne meinen Namen einem weiteren Türsteher. Er ist noch breiter gebaut als der andere und bewacht die Treppe zur Bar im ersten Stock. Auf dem Weg nach oben verkündet ein Schild, dass mich dort die »Coming-out-Party« eines begnadeten neuen Szenekünstlers erwartet. Ich beschließe, nicht genauer nachzufragen, was in diesem Fall mit »Coming-out« gemeint ist. Auf der Treppe kommen mir zwei Männer in Rollkragenpullovern entgegen, einer mit Pferdeschwanz, der andere kahl rasiert, und beide mit einem zutiefst blasierten Ausdruck im Gesicht. Die Musik da oben klingt, ich kann es leider nicht anders sagen, wie früher Disco. Alle möglichen Arten computergenerierter Sounds, ein mechanischer Beat, ein wummernder Bass. Keine Ahnung, warum Menschen sich solchen Mist anhören. Es ist nahezu stockfinster hier, aber ich kann erkennen, dass die Mehrzahl der Menschen sich in der Mitte des Raumes um einen Mann drängt, der – wie nicht anders zu erwarten – einen Rollkragenpullover trägt. Ich wage zu vermuten, dass es sich hierbei um den Künstler handelt. Vielleicht sollte ihm jemand sagen, dass es draußen über zwanzig Grad hat.
Mein Blick fällt auf die Bar, und ich spiele gerade mit dem Gedanken, mir einen Martini zu holen, als jemand meinen Name ruft. Es ist Harland, im Arm eine Asiatin, die fast so groß ist wie er und dünn wie eine Zaunlatte. Ich schätze sie auf höchstens dreiundzwanzig. »Lisa, das ist Paul Riley.«
Ich ergreife ihre manikürte Hand und bewundere einen Moment ihr aufreizendes Kleid. Jesus, der Mann konsumiert Frauen wie ich Wodka.
»Du musst unbedingt Raven kennenlernen«, sagt er.
»Ich kann es kaum erwarten«, erwidere ich, obwohl ich nicht den geringsten Schimmer habe, wen oder was er damit meint. Als er jemanden herbeiwinkt, wird jedoch rasch klar, dass »Raven« der Künstler sein muss. Ein Wink Harlands scheint hier Gewicht zu besitzen, denn Raven kommt augenblicklich angeschossen, legt die Hände zusammen und verbeugt sich vor Harland. Sein Haar trägt er in der Mitte exakt gescheitelt und zu beiden Seiten steil emporgekämmt. Er hat ein zartes spitzes Gesichtchen. Wenn dieser Typ in seiner Kindheit nicht tagtäglich von anderen Jungs verprügelt wurde, fresse ich einen Besen.
»Raven«, brüllt Harland über die Musik hinweg, »das ist ein Freund von mir, Paul. Paul, Raven hier ist einer der bedeutendsten postmodernen Künstler.«
Ich schüttle seine Hand und versuche im Dämmerlicht auszumachen, ob Raven Lidschatten trägt, oder ob ihm einfach jemand Schläge auf beide Augen verpasst hat. Sollte sein Name wirklich Raven sein, vermute ich eher Letzteres.
»Ich dachte, ein wichtiges Merkmal postmoderner Kunst sei gerade, dass sie das Konzept von Bedeutung ablehnt«, bemerke ich, beuge mich zu ihm vor und grinse zufrieden. Ich habe das mal irgendwo gelesen. Raven versteht mich entweder nicht oder tut zumindest so. Harland findet das Ganze offensichtlich amüsant und flüstert Lisa etwas zu, die sich für die Umstehenden in Pose wirft. Er küsst ihr die Hand und wendet sich dann wieder mir zu.
»Sollen wir?«, fragt er. Offensichtlich muss Lisa sich auf der Party alleine amüsieren, was allerdings kaum ein Problem sein dürfte. Es gibt hier sicher eine Menge Männer, die sich ihrer nur allzu gerne annehmen werden, und genügend Drogen, um einen südamerikanischen Diktator damit zu finanzieren.
Harland hätte sich ebenso gut gleich unten mit mir verabreden können, statt mich extra hoch in die Bar zu beordern. Vermutlich war das nicht in der Absicht, mich diesem zwitterhaften Künstler vorzustellen. Harland mag es einfach, wenn die Leute bei ihm antanzen, selbst wenn man sich auf neutralem Boden trifft.
Vielleicht will er mir auch demonstrieren, wie wichtig er ist, umschwärmt von der attraktiven Kunstelite, die meisten halb so alt wie er, und mir bei dieser Gelegenheit gleich das neueste Schmuckstück an seiner Seite vorführen. Dass er Geld hat, ist schließlich hinreichend bekannt. Ebenso seine Frauengeschichten. Jetzt muss er sich auch noch als Mäzen der Kunstwelt präsentieren, mit
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