In Gottes Namen
den Lippen wendet er sich mir zu.
»Sagt Ihnen der Name Evelyn Pendry etwas?«, fragt er.
Er fühlt sich wohl in der Dunkelheit, warm und geborgen, nachts sind alle Katzen grau, du kannst mich nicht sehen, trotz des schmalen Lichtstrahls, der durch den Spalt zwischen den beiden Türen fällt, hier drin ist es dunkel, sehr dunkel im Kleiderschrank … Plötzlich das Schnappen des Schlosses an der Eingangstür.
Leo zückt sein Messer und erhebt sich aus der Hocke.
Bumm, irgendwas ist neben der Eingangstür zu Boden gefallen. Der Türriegel wird wieder vorgeschoben. Schnelle Schritte auf dem Teppich. Der Fernseher geht an, Stimmen erfüllen den Raum.
»Und nun wichtige Kurznachrichten vom Tage«, sagt Evelyn Pendry und imitiert dabei den präzisen Tonfall ihrer Mutter, die im Hintergrund die Nachrichten verliest. Sie tritt ins Schlafzimmer, streift ihre Ohrringe ab, wiederholt, was ihre Mutter im Fernsehen sagt. Sie knöpft ihre Bluse auf, kickt die Pumps weg, windet sich aus dem Rock.
Der Duft von Beeren schwebt durch den Raum. Leo atmet ihn tief ein. Es ist lange her, seit er so was gerochen hat -
»Senator Almundo«, spricht Evelyn ihrer Mutter nach, »hat alle Anschuldigungen zurückgewiesen.«
Sie steht vor dem Spiegel, in ihrer cremefarbenen Seidenunterwäsche, akzentuiert ihre Worte mit entschlossenen Kopfbewegungen. »Senator Almundo … hat sämtliche Vor würfe zur ück gewiesen.«
Leo starrt durch den Spalt zwischen den Schranktüren, während Evelyn den Satz wiederholt und dabei an der Betonung feilt. Ihr Körper ist fest und hübsch geformt, aber statt zu Fantasien regt er ihn nur zu der Überlegung an, wie heftig sie sich wehren wird, denn sie wirkt kräftig, jung und athletisch, nicht wie Freddie, der alte Knacker in seinem Bett, nicht wie das Mädchen in der Gasse mit Riley. Nein, die hier wird kämpfen.
Er packt das Messer fester, schluckt mühsam.
Nachdem er tief durchgeatmet hat, entspannt er sich wie immer sofort.
Sie ist unerwartet früh nach Hause gekommen. Er wird bis zum Einbruch der Dunkelheit warten, bis sie im Bett liegt.
Er schließt die Augen und hält den Atem an.
Als er sie wieder öffnet, starrt Evelyn Pendry direkt auf den Schrank.
Harland Bentley verschränkt die Hände. »Sie hat also behauptet, sie will Informationen für eine Hintergrundstory.«
»Damit hat sie versucht, mich zu ködern«, erkläre ich. »Angeblich wollte sie einen Artikel über den Public Trust, Senator Almundo und mich schreiben. Aber dann fing sie an, mir Fragen über meine Vergangenheit zu stellen. Und irgendwann wollte sie dann wissen, ob ich in Kontakt mit Nat und Ihrer Nichte Gwendolyn stehe.«
»Gwendolyn. Ja, Gwendolyn.« Offensichtlich hat Evelyn sich auch bei Harland nach den beiden Frauen erkundigt. Er neigt den Kopf. »Ich hab schon seit Jahren nichts mehr von Gwendolyn gehört. Und ich hätte auch nichts dagegen, wenn es so bleibt. Ein bösartiges Geschöpf.«
»Sie beide kamen nicht gut miteinander aus«, schlussfolgere ich messerscharf.
Harland wirft mir einen finsteren Blick zu, befeuchtet die Lippen und sagt dann gelassen: »Sie war Cassies einzige Cousine. Ihre nächste Verwandte. Und sie …« Kurz verzerrt sich sein Gesicht, ein Aufflackern von Wut, bevor sich seine Züge wieder verhärten. »Sie war nicht mal bei Cassies Beerdigung. Offensichtlich hielt dieses Mädchen es nicht für nötig, ihr wildes Treiben rund um den Globus auch nur für einen Tag zu unterbrechen, um Cassandra die letzte Ehre zu erweisen. Das werde ich ihr nie verzeihen.«
Harland hatte Natalia Lake geheiratet, als sie neunzehn war und gerade – rein zufällig, da bin ich sicher – eine Milliarde Dollar von ihrem Vater Conrad Lake geerbt hatte. Die beiden ließen sich nach knapp zwanzig Ehejahren wieder scheiden, kurz nach der Ermordung ihre Tochter Cassie. Harland nahm die zwanzig Millionen und ging seiner eigenen Wege, investierte erst in Hotels – Bentley Suites – und baute dann eine Reihe weiterer Firmen auf, die alle seinen Namen trugen, darunter Bentley Manufacturing, Bentley Bearings, Bentley International und Bentley Financial.
Es kursierte das Gerücht, Harlands Vorliebe für junge Frauen habe sich nicht erst nach der Scheidung entwickelt, sondern schon viel früher. Die Beziehung der Ehepartner war längst erkaltet, sie verband nur noch eines – ihre Tochter. Kaum war Cassie tot, so heißt es, zögerten sie keinen Moment und kehrten einander auf Nimmerwiedersehen den Rücken. Anstatt
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