In Gottes Namen
heftig zu zucken begonnen haben, stürmt Leo aus dem Schrank. Kein guter Moment, nicht der richtige Zeitpunkt -
Du kannst mich sehen.
- aber er hat keine andere Wahl, und das Überraschungsmoment ist immer noch auf seiner Seite. Er stürzt auf sie zu, aber sie bemerkt ihn aus dem Augenwinkel und flüchtet ins Wohnzimmer. Er kommt von unten und packt sie am Fußgelenk. Sie knallt auf den Teppich.
Stopf. Ihr. Das. Maul.
Leo verdreht ihr das Gelenk mit einem heftigen Ruck und hört es krachen. Ihr Ausdruck wechselt von Angst zu Schmerz, ihr Schrei ist nur ein Reflex, dient nicht dazu, jemanden zu alarmieren.
Er wirft sich auf sie, presst das Messer gegen ihr Gesicht. Sie erstarrt, atmet schwer, gibt aber keinen Mucks von sich. Sie rechnet sich ihre Chancen aus, überlegt, welche Möglichkeiten ihr noch bleiben, sie weiß, das Messer ist nahe genug, alles auf einen Schlag zu beenden. Wenn sie schreit – wenn sie versucht, Hilfe zu rufen -, ist es vorbei.
Er packt ihr seidiges blondes Haar, atmet kurz dessen Duft ein, dann reißt er daran. Sie versteht. Er dreht sie auf den Rücken, Gesicht nach oben. Er hockt sich mit den Knien auf ihre Arme und drückt das Messer gegen ihre Kehle.
Sie riecht nach Erdbeeren.
22. Kapitel
Mike McDermott lehnt an der Wohnzimmerwand und schaut Grace zu, die ihrer Großmutter vorliest. Das tut er häufig in letzter Zeit, er betrachtet einfach nur still seine siebenjährige Tochter und fragt sich, wie es kommt, dass sich ein Mann, der es tagtäglich mit brutalen Kriminellen und blutigen Tatorten zu tun hat, angesichts dieses zarten kleinen Kindes so verletzlich und eingeschüchtert fühlt.
Sie liest ausgezeichnet vor, hatte ihr Lehrer gesagt. Sie hat die Intelligenz ihrer Mutter, ihren kritischen Verstand, die sprachliche Gewandtheit. Und ihr Verhalten ist dieses Jahr viel ausgeglichener. Weniger Ausbrüche. Mehr soziale Kontakte.
Jahr vier, denkt er. Er berechnet ihr Alter nicht vom Tag ihrer Geburt an, sondern von Joyces Todestag. Sie hat immer noch diese Träume, stellt Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Aber Dr. Sutton sagt, es gäbe keine Hinweise auf Störungen in ihrer kindlichen Psyche. Ihm zufolge erben etwa ein Drittel der Kinder die Disposition ihrer Eltern für manisch-depressive Störungen – also bleiben fast siebzig Prozent verschont. McDermott hat den Arzt auf die Fachliteratur hingewiesen – frühe psychische Störungen können sich unter anderem in leichten Depressionen äußern, die sich später zu einer massiven manisch-depressiven Störung auswachsen -, aber der Arzt meinte, sie sei ein gesundes kleines Mädchen, das die ganze Sache gut verarbeitet.
Sie fühlt sich schuldig, fügte er hinzu, und in McDermotts Hals bildete sich ein dicker Kloß. Das ist nichts Ungewöhnliches. Schließlich war es ihre Mutter.
McDermott erinnert sich, wie er auf seine Schuhe starrte, unfähig etwas zu erwidern.
Und so beobachtet er Grace jeden Tag aufmerksam, in ihren guten und schlechten Phasen, sucht nach Vorboten, Warnsignalen.
Immer wenn sie trotzt oder weint oder wütend wird oder vor Freude herumhüpft, macht er sich innerlich eine Notiz. Eine Zeit lang hat er sogar eine Art Tagebuch geführt. Heute hat sie über einen Witz gelacht. Hat sich über ihren morgendlichen Haferbrei beschwert.
»Matt«, liest Grace mit ihrer Erzählerstimme vor, »der über die Jahre hinweg viele Gäste hatte kommen und gehen sehen, wusste, dass es zwei Sorten gab …«
Mikes Mutter Audrey McDermott hockt mit Grace auf dem Boden, hält ihr Enkelkind mit den Armen umschlungen und liest über Graces Schulter hinweg mit. Der Anblick rührt McDermott fast zu Tränen.
Das Telefon klingelt.
Die beiden blicken auf, aber McDermott hebt die Hand. Beim zweiten Klingeln nimmt er den Hörer ab, und nachdem er kurz gelauscht hat, formen seine Lippen lautlos das Wort Scheiße.
Kurz nach neun trifft McDermott bei dem Apartmenthaus ein und hält hinter einem der sechs Streifenwagen, die mit blinkenden Lichtern am Straßenrand parken. Überall drängen sich Übertragungswagen und Kamerateams und für ihren Auftritt geschminkte Reporter, die einen geeigneten Hintergrund suchen, sich irgendwas notieren und Scheinwerfer auf sich dirigieren. Eine der Journalistinnen pflanzt sich direkt vor dem Apartmenthaus auf und bittet den Kameramann um eine Einschätzung ihrer Position.
Das Gebäude liegt in der North Side, besitzt vier Etagen und einen kleinen Innenhof. Vermutlich alles Eigentumswohnungen,
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