In Gottes Namen
ihrem Umfeld wiedererkannt zu werden und seine Mordserie ungehindert zu Ende bringen zu können. Diese Handlungsweise deutete auf einen Täter hin, dem sehr wohl bewusst war, dass er gegen das Gesetz verstieß, und der daher einer Verfolgung entgehen wollte – ein Mann, der, juristisch gesehen, voll schuldfähig war.
Lightner trat näher, um sich Riley genauer zu betrachten. »Hast du heute schon was gegessen, Schätzchen?«
Riley winkte ab, die gleiche Frage hatte er heute schon von seiner Frau zu hören bekommen. In den letzten Wochen hatte er gut drei Kilo an Gewicht verloren. Essen war wirklich das Letzte, was ihn im Moment interessierte. Dieser Fall würde voraussichtlich der wichtigste in seiner Karriere als Anwalt werden, zudem hatte er alle Hände voll damit zu tun, die Oberaufsicht über eine der größten Strafverfolgungsbehörden des Landes zu führen.
»Lass uns einen fetten Cheeseburger bei Baby’s essen gehen«, schlug Lightner vor.
Riley schaute auf die Uhr. Es war kurz nach eins. Er war seit sieben Uhr im Büro und hatte noch keinen Bissen zu sich genommen. Gemeinsam mit Lightner marschierte er zurück in sein Büro, um seine Jacke zu holen, und stieß dort auf seine Sekretärin Betty, die ihm gerade einen Brief auf seinen Platz legte.
»Noch mehr Fanpost«, erklärte sie, als er eintrat.
Seit sie im Fall Burgos ermittelten, schneiten bei den zuständigen Cops und Staatsanwälten alle möglichen verrückten Schreiben herein, in denen es um das Alte Testament und den Zorn Gottes ging. Zwar mochte kaum jemand Burgos’ Taten gutheißen, doch warnten viele Schreiber potentielle »Sünder« vor den Folgen ihrer Taten.
»Den hier fand ich besonders merkwürdig«, bemerkte Betty.
Riley nahm den Brief und las ihn gemeinsam mit Lightner.
Gerechtigkeit unentwegt triumphiert, ebenso aber regiert Böses ewig. Ich tadle bitter Euer neues öffentliches Treiben, Ihr gebildeten Eliten. Eigennutz verdrängt Ethos: Nächstenliebe, Treue und Ethik leugnet lästerlich Euer Regieren. Nur einige Unerschrockene tadeln Heuchelei. Ihr lasterhaften Frevler, erwartet Antwort. Lernend, bereut auch neuerlichen Irrglauben.
Er starrte Betty an, die mit den Achseln zuckte. »Der ist tatsächlich merkwürdig«, pflichtete er ihr bei. Die meisten Briefe, die eintrafen, zitierten einfach Stellen aus dem Alten Testament oder prophezeiten Menschen, die Gottes Wort lästerten, drastische Strafen. Aber so schräg sie auch waren, nie bedienten sie sich irgendwelcher rätselhafter Anspielungen. »Hast du das Original noch?«
Sie nickte. »Abgeheftet und archiviert.«
Als Vorsichtsmaßnahme bewahrte die Bezirksstaatsanwaltschaft alle Originalbriefe auf, datiert und in Plastik verschweißt.
»Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll«, sagte Riley.
»Der Wunsch nach Gerechtigkeit ist ein unausrottbares menschliches Phänomen, ebenso wie das Böse«, spekulierte Betty, die über seine Schultern spähte. »Und die Menschen von heute sind gierig und unmoralisch.«
»Was soll das sein? Stammtischphilosophie?«, fragte Lightner. »Die Menschen von heute sind gierig und umoralisch? Der Cop von heute hat Hunger auf einen Cheeseburger.« Er nickte Riley zu. »Können wir?«
Riley studierte den Brief erneut. »Der ist wirklich sehr seltsam«, wiederholte er.
»Staatsanwälte.« Lightner seufzte. »Mach die Dinge nicht unnötig kompliziert. Ich bin am Verhungern.«
»Schon gut.« Riley dachte einen Moment nach. Mach die Dinge nicht unnötig kompliziert. Er ließ den Brief in den Papierkorb fallen und ging zum Mittagessen.
Mittwoch
22. Juni 2005
24. Kapitel
Der Besprechungsraum des Reviers im Dritten Bezirk ist bis auf den letzten Platz vollgestopft mit Detectives und uniformierten Beamten. Vorne am Pult stehen die beiden Detectives Ricki Stoletti und Mike McDermott. Es ist neun Uhr morgens. Alle sind hellwach, der Energiepegel im Raum ist hoch.
Die Anwesenden studieren das vor ihnen liegende Blatt, eine am Rand durchnummerierte Version der zweiten Strophe von Tyler Skyes Song »Someone«.
1. An ice pick a nice trick praying that he dies quick
2. A switchblade oughta be great for lobotomy insane a call to me
3. Precision blade incisions made a closer shave a bloody spray
4. Trim-Meter chain saw cheerleader’s brain’s all paint on the stained wall
5. Machete in the head he isn’t ready to be dead I can’t explain why I’m in pain, why I’m unable to refrain from getting somebody’s brain
6. Ditchin’ life
Weitere Kostenlose Bücher