In Gottes Namen
ein Jahr später einstellt und Ihnen seine sämtlichen Rechtsangelegenheiten überträgt?«
»Und obwohl Sie nie etwas anders als Strafrecht praktiziert haben«, setzt Stoletti nach, »tragen Sie plötzlich die Verantwortung für sämtliche Rechtsangelegenheiten von BentleyCo.«
Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und lasse mir einen Augenblick Zeit. Meine Eingeweide brennen wie die Hölle. Ich spüre Schweiß auf der Stirn, und mein Herz pocht gegen mein Hemd.
In meiner Kanzlei berate ich häufig Menschen, die zum Gegenstand polizeilicher Ermittlungen werden. Ich erteile ihnen allen den gleichen Rat: Reden Sie mit niemandem über den Fall. Man weiß nie, wer ein verstecktes Mikro bei sich trägt. Und wenn sich Kriminalbeamte bei ihnen melden, dann sagen Sie kein Sterbenswort, ohne dass ich zugegen bin oder irgendein anderer Anwalt.
Es ist ein natürlicher Instinkt, zu sprechen und einen ungerechtfertigten Verdacht abzustreiten. Und da ist der Impuls, zu lügen, oder wenn schon nicht zu lügen, so doch wenigstens die Wahrheit zu verdrehen. Cops und Strafverfolger bauen darauf, dass die Mehrheit der Menschen diesen beiden elementaren Bedürfnissen nachgibt. Bundesanwälte verdienen damit ihren Lebensunterhalt. Wenn sie dir das unterstellte Verbrechen nicht nachweisen können, und du hast die Wahrheit nur ein klein wenig verdreht, dann kriegen sie dich trotzdem dran, erpressen ein Geständnis oder schicken dich in den Knast, allein deswegen.
Widerstehen Sie unbedingt dem Impuls, rate ich meinen Klienten immer wieder. Sollen die Behörden Sie ruhig weiter verdächtigen. Das ist allemal besser, als sich in Lügen zu verstricken. Reden können Sie später immer noch.
Die Sache ist die, ich habe nichts zu verbergen.
Stoletti scheint das Ganze in vollen Zügen zu genießen. McDermott versucht mich einzuschätzen.
»Das ist doch alles Quatsch«, erkläre ich.
»Ein weiterer Name, der bei unseren Ermittlungen aufgetaucht ist«, sagt McDermott, »ist Amalia Calderone. Lässt der Name was bei Ihnen klingeln?«
Ich schüttle den Kopf.
»Sie sind ihr nie begegnet?«, fragt Stoletti.
»Der Name sagt mir nichts«, erwidere ich.
»Vor zwei Nächten wurde sie zu Tode geprügelt. Sagt Ihnen das was?«
Zu Tode geprügelt. Zu Tode geprügelt. Das passt nicht zur zweiten Strophe.
Als Nächstes müsste ein Rasiermesser kommen, dann die Kettensäge, dann die Machete.
»Nein, allerdings nicht«, sage ich. »Sollte es?«
Stoletti nimmt McDermott die Akte aus der Hand und zieht drei große Farbabzüge heraus, die sie über den Tisch schiebt.
Ich nehme eins der Fotos, und ein dumpfes Stöhnen dringt aus meiner Kehle. Es ist die Nahaufnahme ihres Gesichts, das zur rechten Seite gedreht ist. Eine Wunde an der Schläfe und massive Verletzungen der oberen Schädeldecke. Ein gewaltsamer Tod. Sie wurde brutal erschlagen. Wer immer das getan hat, hat ein perverses Vergnügen dabei empfunden.
»Molly«, sage ich. Die Frau, die mich aus dem Sax gelockt hat, wo ich dann überfallen und ausgeraubt wurde. Ich blicke zu den Cops auf. »Sie glauben doch nicht etwa, dass ich sie getötet habe?«
»Dann erklären Sie uns bitte, Herr Anwalt«, sagt McDermott, »warum sich überall auf der Mordwaffe Ihre Fingerabdrücke befinden.«
31. Kapitel
Auf dem Schild über der Ladentür steht VARTEN’S WERKZEUGE UND BAUMATERIALIEN, ein heruntergekommener Schuppen auf dem Gelände eines großen Holzlagers. Als Leo eintritt, läutet eine Glocke. Der Laden ist leer bis auf den Verkäufer, ein alter Mann, der hinter der Theke telefoniert. Leo tritt an den Ladentisch und wirft dabei einen Blick auf die drüben an der Wand hängenden Kettensägen.
Leo wendet sich zum Verkäufer, der einen Zeigefinger in seine Richtung hebt, während er sein Gespräch beendet. Leo trommelt auf die Theke und schaut sich im Laden um, ganz beiläufig, wie jemand, der gerade zufällig in der Gegend ist und sich denkt, hier gibt es vielleicht Kettensägen. Dann lässt er die Augen wieder über den Alten und die Theke wandern, hinter der er hockt.
Im selben Moment entdeckt er einen Zettel, mit Klebeband auf der Theke befestigt, auf dem nur ein Wort steht: Trim-Meter.
Er schnappt nach Luft. Trim-Meter. Tu so, als würdest du husten, du musst Zeit gewinnen.
»Kann ich helfen, Sir?«
Leo nickt in Richtung Wand. Erneut spricht er es aus: Kettensäge. Obwohl er den Verkäufer nicht ansieht, bemerkt er die Pause, die entsteht, einen Moment zu lang, eine lange Pause
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