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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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sagte ich.
    » Und danach?«
    Ich schüttelte den Kopf – und dann lächelte ich, wenn auch nur ein bisschen, da mich die Vorstellung, wie ich den Rest des Tages verbringen würde, glücklich machte. » Nichts«, sagte ich – und dann sagte ich es noch einmal, da ich nicht diesen Tag meinte, nicht allein die nächsten Stunden, sondern etwas, was ich mir noch nicht recht zusammenreimen konnte, obwohl ich wusste, dass es dort war, irgendwo in meinem Hinterkopf. Eine neue Möglichkeit. Ein Versprechen. » Ich werde mich in einen Sessel setzen und absolut gar nichts tun.«
    Als die Küche eine Stunde später sauber und aufgeräumt war, ging ich wieder nach oben zu meinen Bildbänden, im Kopf diese Ahnung eines Versprechens – und da geschah es, dass ich Martin Crosbie zum ersten Mal sah. Es muss gegen zehn Uhr gewesen sein, und weil wir Midnattso l hatten, sah ich ihn ziemlich deutlich, obwohl ich, vielleicht wegen des Lichts, vielleicht auch, weil er so offensichtlich fehl am Platz wirkte, einen Moment lang glaubte, ihn mir bloß einzubilden. Er stand an dem Gartentor, das den inneren, bestellten Garten von den Wiesen dahinter trennt, und schaute zum Haus hinauf, als meinte er, es eigentlich kennen zu müssen, könne sich aber nicht mehr recht daran erinnern. Natürlich war er mit der echten Midnattsol nicht vertraut, und er durfte auch kaum mit ihrer Wirkung auf ihn gerechnet haben, aber bestimmt hatte er von der Mitternachtssonne gehört – wer nicht? –, doch auch wenn man noch so viel darüber liest, man ist nie darauf vorbereitet. Außerdem ist die Bezeichnung irreführend. Mitternachtssonne lässt an einen goldenen, lang anhaltenden Sonnenuntergang denken, aber so ist sie eigentlich nie. Weiße Nächte trifft es schon eher, fasst es aber noch zu eng: Diese Mittsommernächte können blau sein, rotgolden oder silbergrau, je nach Wetterlage und auch, wie Mutter gern behauptet, je nach Stimmung des Beobachters. An jenem Abend damals war es nach dem ersten richtigen Sommertag frisch und kühl, und es herrschte eine stille, silbrig weiße Dämmerung, die alles in gespenstisches Licht tauchte: Geisterhafte Pfade wanden sich an unserem Haus vorbei zum Strand, als würden sie wie aus ferner Vergangenheit für eine Nacht wieder sichtbar; geisterhafte Vögel schwebten über dem glasigen Wasser des Fjords; geisterhafte Wiesen erstreckten sich kilometerweit in jede Richtung. Jeden Grashalm und jeden Blumenstängel umgab quecksilbriges Licht, so wie quecksilbriges Licht das Laub auf jenen alten Fotografien umgab, die ich mir eben erst angesehen hatte. Es wäre leichtgefallen, auch Martin Crosbie für einen Geist zu halten, hatte er doch nichts Tatsächliches an sich, sah man einmal von seiner unerwarteten Anwesenheit ab, hier, an einem Ort, wo er nicht sein sollte, und selbst seine Anwesenheit wirkte so provisorisch wie das Gespinst einer Sommernacht, das jeden Moment zerfallen und vergehen konnte, ehe ich auch nur ausgemacht hatte, was genau es eigentlich war. Der Eindruck währte nur einen Moment, dennoch kam mir Martin Crosbie auf den ersten Blick wie ein Mensch ohne Substanz vor, nicht so sehr Geist wie Illusion, ein Trugbild, an das er selbst kaum glaubte. Es war, als wäre er nur durch Zufall ins Sein gestolpert, erst wenige Augenblicke zuvor, und wäre nun irgendwas zwischen einer optischen Täuschung und einem Mann, der kurz davor stand, erneut zu verschwinden, weshalb seine sich gerade erst ausprägenden Gesichtszüge bereits wieder zerflossen.
    Er war jedoch keine Illusion. Er war nicht einmal ein Geist. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen, wusste aber, wer er war; ebenso wie ich durch das Wenige, was Kyrre über ihn gesagt hatte, wusste, woher er kam und wohin er, zumindest vorläufig, gehörte. Nur wusste ich nicht, was er hier zu suchen hatte und weshalb er mit einer so bekümmert oder doch ungläubig wirkenden Miene zu unserem Haus hinaufstarrte, dass ich mich vor lauter Mitgefühl fast veranlasst sah, zu ihm hinauszugehen. Was ich nicht tat. Ich spürte, dass er mich nicht gesehen hatte, obwohl er das Haus nicht aus den Augen ließ. Reglos und auf dem Treppenabsatz halb verborgen nutzte ich die Gelegenheit, ihn genauer zu mustern. Er war groß und schlank, um die dreißig, schätzte ich, mit fahlem, sandfarbenem Haar und Goldrandbrille. Wäre Mutter bei mir gewesen, hätte sie gesagt, er sehe sensibel aus, zart, nur spürte ich, da war noch mehr, etwas, das mit meinem ersten Eindruck von ihm zu tun hatte, diesem

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