In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
ein weißes Hemd und Krawatte. Er saß mit dem Büroleiter zusammen und diskutierte mit einer Art ernster Würde; er sah beinahe komisch aus mit seiner vorgeschobenen Unterlippe, einen Finger an der Nase … War das nicht ein universales Zeichen dafür, sich mit seinem Wissen zurückzuhalten?
Knut ging sich selbst überlassen zu dem niedrigen Tisch, er wollte sehen, was es zu essen gab. Obwohl die Eier nach der Aufregung um die Lebensmittelvergiftung bestimmt in Ordnung waren, mochte er sie nicht probieren. Er versorgte sich mit etwas Fettem – halbmondförmigen Keksen, die in einer großen Schale gestapelt lagen. Piroggen, hatte der Dolmetscher gesagt, mit Fleischfüllung. Er erinnerte sich, sie am ersten Abend in Barentsburg gegessen zu haben; im Hotelzimmer, als sie sich mit dem Wodka besoffen hatten. Diese waren deutlich besser. Schnell fand er heraus, dass es auch eine kleinere Variante gab, die Blaubeermarmelade enthielt. Die Lebensmittellager des Trusts waren offensichtlich für Igors Empfang geöffnet worden.
Der Arzt betrat das kleine Wohnzimmer. Er schien erleichtert, als er Knut sah, und mischte sich unter eine Gruppe von Russen, die sich ernsthaft unterhielten – die meisten waren Büroangestellte. Knut kannte sie nicht, er hatte sie kaum gegrüßt. Ihm fielen eher all diejenigen auf, die nicht anwesend waren.
Dass Oksana nicht da war, wunderte ihn nicht. Überraschender war eher, dass keiner der Bergarbeiter geladen war. Igor und Olga biederten sich offen bei der Leitung des Trusts an.
Ljudmila oder Jekaterina waren ebenfalls nicht in der Wohnung. Vielleicht hatte man sie nicht eingeladen? Einige der jüngeren Frauen, die er im Frauenhaus gesehen hatte, schlängelten sich durchs Wohnzimmer, spielten Wirtin oder Kellnerin. Das Zentrum des Einflusses im Frauenhaus hatte sich verlagert.
Olga trug ein schwarzes Kleid, das ihr bis zu den Knien ging, dazu hatte sie einen gehäkelten Schal um die Schultern gelegt, der den tiefen Ausschnitt bedeckte.
»Polizeibeamter Fjeld, wie schön. Wir dachten, wir müssten einige derjenigen einladen, die … nun ja, von Kostjas Weggang betroffen sind. Morgen gibt es eine Trauerfeier, denken Sie nur, zum zweiten Mal innerhalb einer Woche …«
Sie flatterte davon. Wie lange würde es dauern, bis das Paar in das schöne alte Holzhaus zog, in dessen Obergeschoss die Wohnung des Bergwerksdirektors über den Büros und den ehrwürdigen Sitzungszimmern lag?
Der Arzt hatte endlich mit allen Gästen die üblichen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht und stand nun neben Knut, der hastig das Fett von den Fingern leckte und sie an einer Papierserviette abtrocknete.
»Ah, da sind Sie ja, Polizeibeamter Fjeld. Können wir uns unterhalten? Nicht hier, sondern unter vier Augen.«
Knut schaute überrascht auf, er sah sich im Raum um, bis er Jewgeni Iwanowitsch lokalisierte. Er saß von Büroangestellten umgeben in einer Ecke und schaute Knut und den Arzt skeptisch an. Dem Mann entging nicht viel.
»Ja, das müsste sich eigentlich machen lassen. Oder meinen Sie jetzt, sofort?« Knut fühlte sich ertappt, er wandte den Kopf ab. Auf der anderen Seite war er nicht verpflichtet, den russischen Privatdetektiv in all seine Vorhaben einzubeziehen. Er war der Polizist.
»Vielleicht passt es gerade nicht so gut? Aber ich glaube, es ist wichtig.« Der Arzt schien besorgt zu sein.
Knut wurde neugierig. »Können Sie etwas andeuten?«
»Ich habe jemanden gesehen. Vielleicht geht es mich ja nichts an, aber … Was ist mit morgen früh, können wir uns da treffen? Im Krankenhaus, eventuell um acht?«
»Ja, natürlich. Wie geht es Oksana?«
»Sie ist nicht mehr bei uns«, antwortete der Arzt kurz, beinahe abweisend. Knut sah ihn überrascht an, aber der Arzt war sein Anliegen losgeworden. Er drehte sich um und verschwand unter den Gästen.
Igors kleines Wohnzimmer war vollkommen verqualmt. Eines der Fenster stand offen, die nächtliche Kälte zog herein. Knut setzte sich auf die Fensterbank und atmete die frische Luft ein. Vom Haus aus sah man auf den schneebedeckten Fußballplatz und den Stall, in dem ein Fenster erleuchtet war. Weit draußen am Horizont konnte Knut die Lichter des Flugplatzes erkennen. Die Wohnung, in der er sich befand, lag in der fünften Etage. Er blickte in den Nachthimmel. In diesem Moment öffnete sich ein Spalt in der Wolkendecke. Schon bald war die ganze Mondsichel zu sehen. Knut schaute hinunter und wünschte, er hätte es nicht getan. Er bekam einen Anflug von
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