In Nomine Mortis
verberge sich ein Skelett unter der
viel zu weiten schwarzen Kutte. Ich musste mich, der HERR verzeihe mir,
überwinden, ihm den obligatorischen Bruderkuss zu entbieten.
Der Portarius hieß uns
durch Gesten Willkommen. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ich
begriffen hatte, dass er zwar nicht von Natur aus stumm war, aber wohl für
diesen Tag oder vielleicht auch für länger ein Schweigegelübde
abgelegt hatte - oder vom Prior dazu verurteilt worden war. Wortlos
geleitete er uns ins Innere des Klosters, still folgten wir ihm. Kein Laut
erklang, als wir durch den bescheidenen Kreuzgang schlichen, kein
Mitbruder war zu sehen. Der ewige Lärm der Pariser Straßen war
in diesen ruhigen Gängen gebannt, ja nicht einmal eine Meise schien
sich am Brunnen oder in den Rosensträuchern inmitten des Kreuzganges
niederzulassen. Am anderen Ende des Kreuzgangs erstreckte sich ein großes,
zweigeschossiges Gebäude aus massigen Steinen. Neugierig blickte ich
durch die hohen, spitzbögigen Fenster. Dort sah ich, durch das Glas,
in dem sich die Abendsonne brach, undeutlich verzerrt, schwarze Schatten
an Pulten stehen, gebückt und fast regungslos.
»Das ist das
Skriptorium«, flüsterte Bruder Anselm mir zu. »Hier
studieren die Mitbrüder fast den ganzen Tag. Im Stockwerk darüber
befindet sich die Bibliothek. Es gibt Brüder, die dieses Haus, außer
zu den Messen, jahrelang nicht verlassen. Du wirst sie an ihrer Haut
erkennen, die hell ist wie Elfenbein.«
Der stumme Portarius führte
uns durch einen engen Gang, dann eine schmale, gewundene Treppe hinauf,
bis vor eine verschlossene, massive Eichentür. Respektvoll klopfte er
an, dann drückte er die Tür auf: Wir standen in der Zelle des
Priors.
Bruder Carbonnet blickte auf.
Für einen winzigen Augenblick glaubte ich, dass Verärgerung, ja
Furcht über sein massiges Gesicht huschte, doch dann schien er nicht
nur erfreut, sondern geradezu erleichtert zu sein, uns zu sehen. Er stand
in seinem sechzigsten Jahr. Bruder Anselm hatte mir erzählt, dass der
Prior, als jüngster Spross einer Adelsfamilie aus Orleans, schon als
Junge zu den Dominikanern gegeben und, dank seiner edlen Abstammung, auch
in frühen Jahren bereits zum Prior berufen worden war. Er war ein
Doktor der Theologie und seine Gelehrsamkeit wurde weithin gerühmt,
nicht nur innerhalb unseres Ordens. Er war nicht besonders groß,
doch dick wie ein eichenes Weinfass. Seine dunklen Augen verschwanden fast
hinter zwei Fettwülsten, als er uns nun aufmerksam musterte.
Bruder Anselm und ich
verbeugten uns tief und murmelten unsere Begrüßung.
»Willkommen bei den
Jacobins, meine Brüder«, antwortete der Prior. Seine Stimme war
ungewöhnlich hoch, doch klar und kräftig. Er bemerkte wohl
meinen verwunderten Blick, denn er nickte mir wohlwollend zu. »So
nennen uns die Bürger von Paris«, erklärte er mir, »weil
unser Kloster an der Rue Saint-Jacques liegt.«
»Ehrwürdiger
Vater, es ist eine große Ehre, dass ich hier sein darf«, sagte
ich demütig. Ich überreichte Bruder Carbonnet den gesiegelten
Brief, in dem mein Kölner Prior mich empfahl. Er studierte das
Schreiben sorgfältig, dann nickte er. »Mein Amtsbruder hat mir
schon im letzten Herbst einen Brief geschrieben, in dem er mir dein
baldiges Kommen ankündigte«, murmelte er. Dann blickte er mich
aufmerksam an. Jede Spur von Freundlichkeit war aus seinem Antlitz
gewichen.
»Du bist, schreibt mein
Amtsbruder, sehr gelehrt, trotz deiner jungen Jahre?«, fragte er.
Ich spürte, wie mir die
Röte ins Gesicht schoss, und wusste darauf nichts zu antworten.
Er nickte nur. »Und du
bist Deutscher?«, wollte er dann wissen. »Ja«,
antwortete ich, verwundert über diese Frage nach etwas doch so
Offensichtlichem - obwohl ich natürlich, genau genommen, selbst nicht
wissen konnte, wessen Blut in meinen Adern floss.
Da schien der Prior einen
Entschluss gefasst zu haben. Er klatschte in die Hände und der
Portarius erschien wieder vor der Zellentür. »Bring Bruder
Anselm ins Gästehaus, auf dass er sich erfrischen und ausruhen kann,
bevor wir die Vesper feiern«, befahl er dem Greis.
Als die beiden nach einem
gemurmelten Abschiedswort im halbdunklen Flur verschwunden waren, wandte
sich Bruder Carbonnet mir zu: »Dich aber, mein junger Freund,
schickt der HERR genau zur richtigen Stunde. Es tut mir leid, dir sagen zu
müssen, dass du
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