In Nomine Mortis
und feuchter schien mir die Luft hier
zu drücken, ich glaubte, im Schacht eines großen Brunnens zu
stehen. Wir waren nicht allein. Über die Musik der Spielleute und die
Lieder der Tanzenden, die von Ferne zu uns hinüberwehten, hörte
ich ein Wispern und Flüstern, ein Stöhnen und Stammeln, wie ich
es nie zuvor vernommen hatte. Erschrocken blickte ich mich um: Die Laute
schienen aus den fensterlosen Mauern selbst zu dringen. Ich brauchte ein
paar Augenblicke, bis ich gewahr wurde, dass die nächtlichen Stimmen
nicht den Ziegeln entsprangen. Vor den Wänden, fast ganz verborgen im
Schatten, erkannte ich zwei schemenhafte Gestalten, verschlungen in einem
Ringen, von dem ich glaubte, dass es ein Kampf auf Leben und Tod sein müsse.
Erschrocken wollte ich zurückweichen, doch dann erkannte ich, dass da
nicht einer dem anderen an die Gurgel fassen wollte. Es war die Umarmung
der Wollust, in der die beiden vereint waren — so vereint in ihrem sündigen
Treiben, dass sie uns nicht einmal bemerkt hatten.
Als ich endlich verstanden
hatte, was die beiden Unbekannten da taten, war ich noch erschrockener,
als hätten sie miteinander gekämpft. Jetzt erst begriff ich,
warum mich Klara Helmstede hier hineingezogen hatte.
Ich blickte sie an und sie
musste wohl in meinem Gesicht den Ausdruck der Furcht gelesen haben. Sie
hielt einen Finger an die Lippen und bedeutete mir so, zu schweigen. Dann
drängte sie mich tiefer hinein bis ans Ende der Sackgasse.
Was sollte ich tun? Klara
Helmstede stand zwischen mir und dem Ausgang der Gasse auf den Platz. Mein
Mund war trocken, meine Hände zitterten, meine Beine wollten sich
nicht rühren.
Sie warf mit einer achtlosen
Geste den Umhang ab. Ihr blondes Haar hatte sich gelöst und floss nun
auf ihre Schultern - zwei im Schimmer der fernen Johannisfeuer rötlich
leuchtende Schleier, die ihr Gesicht umspielten. Klara Helmstede kam mir
ganz nah und flüsterte: »Bruder Ranulf, wisst Ihr es nicht,
obzwar Ihr doch so gelehrt seid? Das Gebot der Keuschheit gilt nicht in
der Johannisnacht!«
*
Noch heute zittert meine
Hand, da ich die Erinnerung an jene Nacht niederschreibe. An jene Nacht,
da ich, hingesunken im Schmutz der Gosse, von Klara Helmstede lernte,
welche Macht doch das Weib über den Mann hat. Oh ja, sie war erfahren
in den Künsten der Lust und ich ergab mich ihren Küssen, wie ich
mich nie zuvor einem Menschen ergeben hatte. Sie lehrte mich, dass es auch
in dieser Welt einen Garten Eden gibt — und dass er nicht in fernen
Ländern zu finden sei, sondern in der Umarmung einer Frau. Sie lehrte
mich, dass man sündigen konnte, ohne auch nur an die Sünde zu
denken, ohne Gewissensqualen und Not. Sie lehrte mich, dass ich bis zu
jener Nacht nichts gewusst hatte vom Leben der Menschen, ja, dass ich mich
nicht einmal selbst gekannt hatte.
Wir tranken einander wie zwei
Verdurstende. Wir umklammerten uns wie zwei Ertrinkende. Ich atmete den süßen
Duft ihrer Haut ein, Rosenwasser und Schweiß.
Ich weiß nicht, wie
lange wir so beieinander lagen, die Welt vergessend und vergessen von der
Welt. Wir sprachen nicht mit Worten, sondern nur mit unseren Händen,
mit denen wir unsere Leiber umfassten.
Irgendwann lagen wir Seite an
Seite auf dem Straßenpflaster. Die Steine kühlten meine glänzende
Haut, doch ich fröstelte nicht. Oben am schwarzen Nachthimmel war, im
Rahmen der Hauswände, ein einziger Stern aufgegangen.
Dann spürte ich, wie
sich Klara schweigend erhob. Rasch suchte sie ihre Kleider zusammen und
streifte sie sich über. Ich wagte nicht, mich zu regen - aus Angst,
irgendeinen Zauber zu zerstören. Erst als sie alle Gewänder
angelegt und sich sogar den weiten Umhang übergeworfen hatte,
richtete ich mich auf.
Sie beugte sich zu mir
hinunter und küsste mich. Dann hauchte sie: »Ich werde dir eine
Nachricht senden, wann und wo wir uns wiedersehen können, mein
Geliebter.« Klara drehte sich um und eilte aus der Gasse.
Ich blickte ihr nach. Im rötlichen
Schein der Johannisfeuer war sie wie eine Spukgestalt, die plötzlich
vom Erdboden verschwand.
*
Ich lag noch eine Weile
regungslos da und dachte an nichts. Doch nein, ich will nicht lügen:
Ich erinnerte mich an Klaras Liebkosungen, ich formte mit meinen Händen
ihren Körper nach, den ich vor kurzem noch umfasst hatte. Ich hatte
eine Todsünde begangen
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