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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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und feuchter schien mir die Luft hier
     zu drücken, ich glaubte, im Schacht eines großen Brunnens zu
     stehen. Wir waren nicht allein. Über die Musik der Spielleute und die
     Lieder der Tanzenden, die von Ferne zu uns hinüberwehten, hörte
     ich ein Wispern und Flüstern, ein Stöhnen und Stammeln, wie ich
     es nie zuvor vernommen hatte. Erschrocken blickte ich mich um: Die Laute
     schienen aus den fensterlosen Mauern selbst zu dringen. Ich brauchte ein
     paar Augenblicke, bis ich gewahr wurde, dass die nächtlichen Stimmen
     nicht den Ziegeln entsprangen. Vor den Wänden, fast ganz verborgen im
     Schatten, erkannte ich zwei schemenhafte Gestalten, verschlungen in einem
     Ringen, von dem ich glaubte, dass es ein Kampf auf Leben und Tod sein müsse.
     Erschrocken wollte ich zurückweichen, doch dann erkannte ich, dass da
     nicht einer dem anderen an die Gurgel fassen wollte. Es war die Umarmung
     der Wollust, in der die beiden vereint waren — so vereint in ihrem sündigen
     Treiben, dass sie uns nicht einmal bemerkt hatten.
    Als ich endlich verstanden
     hatte, was die beiden Unbekannten da taten, war ich noch erschrockener,
     als hätten sie miteinander gekämpft. Jetzt erst begriff ich,
     warum mich Klara Helmstede hier hineingezogen hatte.
    Ich blickte sie an und sie
     musste wohl in meinem Gesicht den Ausdruck der Furcht gelesen haben. Sie
     hielt einen Finger an die Lippen und bedeutete mir so, zu schweigen. Dann
     drängte sie mich tiefer hinein bis ans Ende der Sackgasse.
    Was sollte ich tun? Klara
     Helmstede stand zwischen mir und dem Ausgang der Gasse auf den Platz. Mein
     Mund war trocken, meine Hände zitterten, meine Beine wollten sich
     nicht rühren.
    Sie warf mit einer achtlosen
     Geste den Umhang ab. Ihr blondes Haar hatte sich gelöst und floss nun
     auf ihre Schultern - zwei im Schimmer der fernen Johannisfeuer rötlich
     leuchtende Schleier, die ihr Gesicht umspielten. Klara Helmstede kam mir
     ganz nah und flüsterte: »Bruder Ranulf, wisst Ihr es nicht,
     obzwar Ihr doch so gelehrt seid? Das Gebot der Keuschheit gilt nicht in
     der Johannisnacht!«
    *
    Noch heute zittert meine
     Hand, da ich die Erinnerung an jene Nacht niederschreibe. An jene Nacht,
     da ich, hingesunken im Schmutz der Gosse, von Klara Helmstede lernte,
     welche Macht doch das Weib über den Mann hat. Oh ja, sie war erfahren
     in den Künsten der Lust und ich ergab mich ihren Küssen, wie ich
     mich nie zuvor einem Menschen ergeben hatte. Sie lehrte mich, dass es auch
     in dieser Welt einen Garten Eden gibt — und dass er nicht in fernen
     Ländern zu finden sei, sondern in der Umarmung einer Frau. Sie lehrte
     mich, dass man sündigen konnte, ohne auch nur an die Sünde zu
     denken, ohne Gewissensqualen und Not. Sie lehrte mich, dass ich bis zu
     jener Nacht nichts gewusst hatte vom Leben der Menschen, ja, dass ich mich
     nicht einmal selbst gekannt hatte.                     
    Wir tranken einander wie zwei
     Verdurstende. Wir umklammerten uns wie zwei Ertrinkende. Ich atmete den süßen
     Duft ihrer Haut ein, Rosenwasser und Schweiß.
    Ich weiß nicht, wie
     lange wir so beieinander lagen, die Welt vergessend und vergessen von der
     Welt. Wir sprachen nicht mit Worten, sondern nur mit unseren Händen,
     mit denen wir unsere Leiber umfassten.
    Irgendwann lagen wir Seite an
     Seite auf dem Straßenpflaster. Die Steine kühlten meine glänzende
     Haut, doch ich fröstelte nicht. Oben am schwarzen Nachthimmel war, im
     Rahmen der Hauswände, ein einziger Stern aufgegangen.
    Dann spürte ich, wie
     sich Klara schweigend erhob. Rasch suchte sie ihre Kleider zusammen und
     streifte sie sich über. Ich wagte nicht, mich zu regen - aus Angst,
     irgendeinen Zauber zu zerstören. Erst als sie alle Gewänder
     angelegt und sich sogar den weiten Umhang übergeworfen hatte,
     richtete ich mich auf.
    Sie beugte sich zu mir
     hinunter und küsste mich. Dann hauchte sie: »Ich werde dir eine
     Nachricht senden, wann und wo wir uns wiedersehen können, mein
     Geliebter.« Klara drehte sich um und eilte aus der Gasse.
    Ich blickte ihr nach. Im rötlichen
     Schein der Johannisfeuer war sie wie eine Spukgestalt, die plötzlich
     vom Erdboden verschwand.
    *
    Ich lag noch eine Weile
     regungslos da und dachte an nichts. Doch nein, ich will nicht lügen:
     Ich erinnerte mich an Klaras Liebkosungen, ich formte mit meinen Händen
     ihren Körper nach, den ich vor kurzem noch umfasst hatte. Ich hatte
     eine Todsünde begangen

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