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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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— und doch reute mich nichts, nichts,
     nichts. Und so, als predigte ich zu mir selbst, sprach ich im Geiste die
     Worte aus der Heiligen Schrift: »Darum wird ein Mann seinen Vater
     und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden sein
     ein Fleisch.« Später warf ich meine Gewänder über,
     auch den grauen Umhang, den Klara mir gegeben hatte. Als ich aus der
     Sackgasse schlich, warf ich einen verstohlenen Blick auf jene Stelle an
     der Mauer, an der sich das andere Paar in Wollust umschlungen gehalten
     hatte, doch war das Straßenpflaster leer.
    Als ich den Platz von Les
     Halles betrat, blieb ich erschrocken stehen. Noch immer loderten die Feuer
     hoch, ja höher vielleicht noch als zuvor. Wilder auch schien mir der
     Reigen der Tanzenden zu sein, lauter und stampfender die Musik der
     Vaganten. Ich wusste kaum, wohin ich meinen schamhaften Blick wenden
     sollte, denn viele Weiber und Männer hatten sich schon der Wollust
     ergeben. Doch hatten sie sich nicht die Mühe gemacht, sich in den
     Schatten der Gassen zu verstecken. Sie frönten ihrer Lust vielmehr
     dort, wo sie gerade niedergesunken waren, mitten auf dem Platz und auf den
     größeren Straßen, die zu ihm führten. Neben den Unzüchtigen
     lagen Gestalten, die vom Wein niedergestreckt worden waren. Durch ihr
     Erbrochenes wateten Straßenhunde und Schweine und schleckten es auf.
     Ich schlug mir den Umhang vor das Gesicht. Der Rausch der Liebe war
     verflogen und auch die Sinnesverwirrung, welche der Wein in mir verursacht
     hatte. Ich wollte zurück ins Kloster - wenn ich auch nicht wusste,
     wie ich es bewerkstelligen sollte, unbemerkt in meine Zelle zu gelangen.
    Durch Seitengassen entkam ich
     den Johannisfeuern und den Tanzenden bis zur Seine. Am morastigen Ufer sah
     ich mich um. Einige hundert Schritt entfernt brannten die Feuer auch hier.
     Doch dort, wo ich mich befand, war es düster und still. Ich hatte
     gehofft, dass endlich ein Regenguss die schwüle Luft klären würde
     — und auch mich reinigte, der ich den süßen Duft der
     Reedersgattin auf der Haut trug. Zwar grollte Donner in der Ferne, es
     leuchtete fahl am Himmel, doch gewittern wollte es nicht. Also entledigte
     ich mich an jener dunklen Stelle meiner Gewänder, taumelte vorsichtig
     einige Schritte am abfallenden Grund hinein in den Fluss und tauchte
     meinen Leib unter. Schaudernd, doch zugleich erfrischt und zumindest am
     Leib, wiewohl nicht an der Seele, gereinigt, schlich ich anschließend
     zurück. Meine Müdigkeit war verflogen. Ich kleidete mich an.
     Dann rannte ich über den Grand Pont, wo auch ein Feuer leuchtete und
     viele Menschen sangen und tanzten. Niemand achtete auf mich - glaubte ich
     wenigstens. So gelangte ich unbehelligt auf die Ile de la Cite. Ich wollte
     über den Platz vor Notre-Dame hasten, der still und leer dalag, da
     die Domherren im Angesicht der Kathedrale keine Feiern duldeten, als ich
     plötzlich stehen blieb.
    Ein schwerer Donner rollte
     über Paris, so wuchtig, dass ich glaubte, die Mauern der Häuser
     zittern zu sehen.
    Doch das war es nicht.
     Verwundert blickte ich mich um. Irgendetwas war anders als sonst.
     Irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte. Ich starrte auf die dunklen
     Häuserzeilen, hinter denen die Feuer aufleuchteten. Ich blickte zurück
     auf den Grand Pont. Wieder rollte ein Donner heran, noch erschütternder
     als der zuvor. Dann zuckte ein Blitz über den Himmel, als wäre
     das Gewölbe, das sich über die Weltenscheibe spannt, mit
     Riesenhand gespalten worden. Da entdeckte ich es: Notre-Dame!
    Im rechten Turm, ganz oben,
     direkt unter der wuchtigen Spitze, die eher einem Burgturm zugehörig
     schien, denn einem Hause GOTTES, flackerte ein gelbliches Licht. Einen
     Augenblick glaubte ich, dass es vielleicht der Widerschein irgendeines der
     unzähligen Johannisfeuer sei, doch dafür war dieses Leuchten,
     wiewohl schwach, trotzdem zu hell und gleichmäßig. Dort oben
     leuchtete eine Kerze. Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Wer mochte
     um diese Stunde oben im Turm sein? Noch dazu in der Johannisnacht? Warum
     sollte jemand dort oben sein? Und — ich erschauderte - war
     derjenige, wer immer es sein mochte, womöglich nicht nur in dieser
     Nacht auf dem Turm der Kathedrale? Vielleicht hatte er schon manche Nacht
     so zugebracht? Vielleicht auch die Nacht, da Heinrich von Lübeck
     ermordet wurde? Müsste man von dort oben denn nicht hinunterblicken können
     bis vor das

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