In Nomine Mortis
nun aus
meiner Kutte tropfte. Eine kleine Wasserlache hatte sich rings um mein
Gewand gebildet. Schwitzend stand ich da und wagte kaum zu atmen. Hatte
jemand ein Auge auf mich? Wurde ich beobachtet? Alle Mönche hielten
den Kopf gesenkt und beteten.
Nach einer kleinen Ewigkeit
kam endlich der Segensspruch und wir wandten uns dem Ausgang zu. Ich
suchte in den Reihen der verhüllten Mönche nach Meister
Philippe, konnte ihn jedoch nicht erkennen. Doch ich war mir sicher, dass
dem Inquisitor die Wasserlache zu meinen Füßen nicht entgangen
war.
10
DAS LAND UNTERHALB DES
PARADIESES
Am nächsten Morgen
wachte ich in aller Frühe auf, noch vor der Prim. Es war der Tag des
heiligen Johannes des Täufers - ob er mich wohl mit dem Wasser des
Jordan besprengt hätte, um mir meine Sünden abzuwaschen?
Ich wusste, dass ich mich
gegen SEINE Gebote vergangen hatte. Hatte nicht sogar Jesus am Berg viel lässlichere
Vergehen getadelt? Audistis
quia dictum est antiquis non moechaberis. Ego autem dico vobis quoniam
omnis qui viderit mulierem ad concupiscendum eam iam moechatus est eam in
corde suo.
Auch hatte ich lange genug
studiert, um die Bußbücher, in denen jede Sünde
verzeichnet war, und auch, wie sie zu sühnen sei, zu kennen. Regino
von Prüm etwa, der strenge Zuchtmeister, hatte in seinem Werk für
die schlimmsten Formen der Wollust sieben Jahre Buße gefordert -
genauso viel wie für denjenigen, der einen anderen Menschen
erschlagen hatte.
Als wir im Kloster das Buch
studierten, da wiesen uns die älteren Mitbrüder besonders auf
die Gefahren der Sodomie hin und auf die Sünde Onans, denn diese
beiden Formen der Wollust sind es ja vor allem, welche uns Mönche
bedrohen.
Doch an jenem Morgen
erinnerte ich mich, dass Regino von Prüm auch flammende Worte wider
Mann und Weib gefunden hatte, wenn sie sich nicht der Natur gemäß
vereinten. Wenn die Frau etwa in den Mund nahm, was nicht für den
Mund bestimmt war, dann forderte das Buch sieben Jahre Buße. Auch
wenn das Weibe auf dem Manne lag, wenn also zur Sünde der Wollust
noch die schändliche Umkehrung der Verhältnisse zwischen
Herrscher und Beherrschter hinzukam, musste man sich sieben Jahre
kasteien, musste pilgern und fromme Werke tun.
Danach hätte ich schon
nach dieser einen Nacht mindestens zweimal sieben Jahre Buße tun müssen.
Und doch dachte ich,-wenn ich mich der Sünden erinnerte, die Regino
von Prüm so sehr geißelte, mit wohligem Schauer zurück.
Fast vermeinte ich gar, wieder den Duft von Klaras Haut zu atmen und zu
entflammen unter ihren erfahrenen Liebkosungen.
Und trotzdem: Ein Teil meiner
Seele wurde zerfressen von Reue und Scham. Ich fragte mich, ob ich
beichten sollte, wagte es dann aber doch nicht. Als ich endlich zur Prim
schritt, da blickte ich nicht einmal auf zum Altar, aus Angst, von IHM auf
der Stelle zerschmettert zu werden.
Auch an die düstere
Gestalt dachte ich, vor der ich letzte Nacht geflohen war. Wer sonst
mochte es sein, denn Satan? War ich nicht für immer verloren?
Wandelte ich nicht schon mit einem Fuß im Reich der Finsternis?
Doch noch während meine
Seele sich in Qualen wand, gaukelte sie mir Bilder vor von Klara, von
ihren blonden Locken, die auf helle Haut fielen. Meine Fingerkuppen
zitterten, weil ich wieder die Brüste zu spüren vermeinte, die
ich noch vor wenigen Stunden umfasst hatte. Hatte sie nicht versprochen,
mich wiederzusehen? Wann würde sie mich wieder beglücken?
So war ich denn am Boden
zerstört und schwebte doch zugleich im Himmel, war reuig und demütig
wie nur irgendein Mönch sein kann — und erging mich doch im
Augenblick danach in wollüstigen Schwärmereien wie ein verwöhnter
Edelmann.
Ich blickte mich um und
forschte verstohlen in den Gesichtern meiner Mitbrüder, die den
Hymnus zur Prim anstimmten, ob ihnen wohl an mir Merkwürdiges, ja
Alarmierendes auffallen möge. Doch niemand achtete meiner. Sorgfältig
ließ ich meinen Blick noch einmal über die dunkel gewandeten Mönche
wandern - plötzlich schauderte ich.
Philippe de Touloubre fehlte
in den langen Reihen der betenden Dominikaner.
*
So hatte ich denn, wiewohl
dies kaum ein Trost sein konnte, etwas, das mich von meinen Gedanken an
Wollust und Sünde fortführte. Ich fragte mich, während ich
sang und betete und dabei doch nur Worte formte, die
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