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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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halten. Wie atmete ich auf, als wir endlich das
     Kloster erreicht und unsere Kräuter in der Apotheke abgegeben hatten.
     Bruder Malachias verbeugte sich vor mir, dann eilte er zur Krankenstube,
     um sich der Pflege der daniederliegenden Mönche zu widmen. Ich
     murmelte einen Segenswunsch, doch wagte ich nicht, meine Hände aus
     den Ärmeln zu ziehen und ihm den Segen auch mit der Rechten zu
     erteilen. Ich hoffte, dass er dies nicht bemerken würde.
    Ich bezwang mich und ging
     gemessenen Schrittes den Kreuzgang entlang, obwohl ich doch am liebsten
     gerannt wäre wie ein Knabe, der einen Streich begangen hat und nun
     nach Hause eilt. Kurz blickte ich mich um, ob ich irgendwo Meister
     Philippe sehen mochte. Diesmal war ich erleichtert, dass dem nicht so war,
     denn ich wagte gar nicht, mir auszumalen, wie es wäre, wenn ich mit
     dem versteckten Paket dem Inquisitor unter die Augen getreten wäre. Hätte
     dieser es nicht sofort entdeckt? Wie hätte ich die Situation dann
     erklären können, ohne nicht zugleich einen Verdacht auf Lea zu
     lenken? Den ganzen Rückweg hatte ich mich schon gefragt, warum Lea
     mir dieses Paket überreicht haben mochte — und was es wohl
     enthielt. Sie hatte ihren Judenflecken verborgen. Ich glaubte nicht, dass
     ihr Vater davon wusste. Vielleicht, so sagte ich mir, hatte sie mich und
     Bruder Malachias erblickt, als wir zum Blindenhospiz gegangen waren, denn
     auf dem Weg dorthin mussten wir ja an der Kathedrale Notre-Dame und mithin
     in der Nähe des Judenviertels vorbeiwandern. Dann hatte sie sich
     einen unauffälligen Mantel übergeworfen und mich erwartet, da
     sie ja nun hoffen konnte, mich früher oder später auf dem Rückweg
     wieder abzufangen.
    Was mochte sie mir gegeben
     haben? Mit meiner Linken hatte ich unterwegs das Paket abgetastet, während
     ich es umklammert hielt - und ich glaubte schon zu wissen, was es
     enthielt: ein schweres Buch. Sollte es eine jüdische Schrift sein?
     Ein ketzerisches Werk? Was geschähe mir, fände man es hier, im
     Kloster der Dominikaner? Und was erst würde man mit Lea und ihrem
     Vater machen? Endlich war ich in meiner Zelle angelangt, blickte mich auf
     dem Gang noch einmal um, schlüpfte dann hinein und schloss sorgfältig
     die Tür. Ich setzte mich auf die Pritsche und schlug mit zitternden
     Fingern den Stoff um das Paket auf. Wie vermutet, fand ich ein Buch und
     einen Brief.
    Ich versuchte, meine Ungeduld
     zu beherrschen, und öffnete zuerst den Brief. Es war ein halbes Blatt
     Pergament, das aussah, als wäre es irgendwo anders herausgetrennt
     worden, vielleicht aus einem Buch. Ganz schwach konnte ich noch eine
     kleine, schwarze Schrift erkennen, die mit einem feinen Messer sorgfältig
     herausgeschabt worden war und nur noch wie ein geisterhafter Schatten auf
     dem Pergament zu schweben schien. Quer zum gelöschten alten Text
     hatte jemand einen neuen geschrieben. Die Handschrift war groß,
     schwungvoll und klar. Ich musste nicht rätseln, wer die Buchstaben so
     geschickt zu setzen verstand.
    Diesen Brief habe ich über
     all die Jahre aufbewahrt. Auch auf meinen vielen Reisen habe ich mich
     niemals von ihm getrennt, denn er ist mir lieb und teuer. Und so liegt er
     nun, Jahrzehnte später, vor mir, gelb ist das Pergament geworden und
     brüchig und fast schon geisterhaft ist auch die schwungvolle Schrift,
     so wie die ursprüngliche endgültig verblasst ist. Ich streiche
     die schwärzlich verfärbten Knickstellen glatt und schiebe den
     Brief näher zur Kerze. So kann ich ihn abschreiben, Wort für
     Wort, und ihn in meinen Bericht einfügen:
     
    Bruder Ranulf,
    JHWH möge mit Euch
     sein auf all Euren Wegen und Euch beistehen bei all Euren Taten, auf dass
     ER Euch einst zählen wird zu den Gerechten. Ich schreibe Euch wieder,
     diesmal ausführlicher, denn ich weiß mir keinen anderen Rat,
     als Euch — und nur Euch, ich flehe Euch an, darüber kein Wort
     gegenüber dem Inquisitor zu verlieren! — die Dinge so
     darzulegen, wie sie mir zu sein scheinen. Urteilt dann selbst.                     
    Mein Vater hat Euch nicht
     die Wahrheit gesagt, als er Euch versicherte, dass der Mönch aus Lübeck,
     JHWH möge sich seiner erbarmen, wegen Gelddingen bei ihm
     vorgesprochen habe. Nechenja ben Isaak ist ein gerechter Mann, doch ihn
     plagte die Furcht vor der Inquisition - besonders vor Fragen, die Ihr an
     ihn stellen könntet, die er aber nicht zu beantworten vermag. Ich
     werde Euch

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