In Nomine Mortis
halten. Wie atmete ich auf, als wir endlich das
Kloster erreicht und unsere Kräuter in der Apotheke abgegeben hatten.
Bruder Malachias verbeugte sich vor mir, dann eilte er zur Krankenstube,
um sich der Pflege der daniederliegenden Mönche zu widmen. Ich
murmelte einen Segenswunsch, doch wagte ich nicht, meine Hände aus
den Ärmeln zu ziehen und ihm den Segen auch mit der Rechten zu
erteilen. Ich hoffte, dass er dies nicht bemerken würde.
Ich bezwang mich und ging
gemessenen Schrittes den Kreuzgang entlang, obwohl ich doch am liebsten
gerannt wäre wie ein Knabe, der einen Streich begangen hat und nun
nach Hause eilt. Kurz blickte ich mich um, ob ich irgendwo Meister
Philippe sehen mochte. Diesmal war ich erleichtert, dass dem nicht so war,
denn ich wagte gar nicht, mir auszumalen, wie es wäre, wenn ich mit
dem versteckten Paket dem Inquisitor unter die Augen getreten wäre. Hätte
dieser es nicht sofort entdeckt? Wie hätte ich die Situation dann
erklären können, ohne nicht zugleich einen Verdacht auf Lea zu
lenken? Den ganzen Rückweg hatte ich mich schon gefragt, warum Lea
mir dieses Paket überreicht haben mochte — und was es wohl
enthielt. Sie hatte ihren Judenflecken verborgen. Ich glaubte nicht, dass
ihr Vater davon wusste. Vielleicht, so sagte ich mir, hatte sie mich und
Bruder Malachias erblickt, als wir zum Blindenhospiz gegangen waren, denn
auf dem Weg dorthin mussten wir ja an der Kathedrale Notre-Dame und mithin
in der Nähe des Judenviertels vorbeiwandern. Dann hatte sie sich
einen unauffälligen Mantel übergeworfen und mich erwartet, da
sie ja nun hoffen konnte, mich früher oder später auf dem Rückweg
wieder abzufangen.
Was mochte sie mir gegeben
haben? Mit meiner Linken hatte ich unterwegs das Paket abgetastet, während
ich es umklammert hielt - und ich glaubte schon zu wissen, was es
enthielt: ein schweres Buch. Sollte es eine jüdische Schrift sein?
Ein ketzerisches Werk? Was geschähe mir, fände man es hier, im
Kloster der Dominikaner? Und was erst würde man mit Lea und ihrem
Vater machen? Endlich war ich in meiner Zelle angelangt, blickte mich auf
dem Gang noch einmal um, schlüpfte dann hinein und schloss sorgfältig
die Tür. Ich setzte mich auf die Pritsche und schlug mit zitternden
Fingern den Stoff um das Paket auf. Wie vermutet, fand ich ein Buch und
einen Brief.
Ich versuchte, meine Ungeduld
zu beherrschen, und öffnete zuerst den Brief. Es war ein halbes Blatt
Pergament, das aussah, als wäre es irgendwo anders herausgetrennt
worden, vielleicht aus einem Buch. Ganz schwach konnte ich noch eine
kleine, schwarze Schrift erkennen, die mit einem feinen Messer sorgfältig
herausgeschabt worden war und nur noch wie ein geisterhafter Schatten auf
dem Pergament zu schweben schien. Quer zum gelöschten alten Text
hatte jemand einen neuen geschrieben. Die Handschrift war groß,
schwungvoll und klar. Ich musste nicht rätseln, wer die Buchstaben so
geschickt zu setzen verstand.
Diesen Brief habe ich über
all die Jahre aufbewahrt. Auch auf meinen vielen Reisen habe ich mich
niemals von ihm getrennt, denn er ist mir lieb und teuer. Und so liegt er
nun, Jahrzehnte später, vor mir, gelb ist das Pergament geworden und
brüchig und fast schon geisterhaft ist auch die schwungvolle Schrift,
so wie die ursprüngliche endgültig verblasst ist. Ich streiche
die schwärzlich verfärbten Knickstellen glatt und schiebe den
Brief näher zur Kerze. So kann ich ihn abschreiben, Wort für
Wort, und ihn in meinen Bericht einfügen:
Bruder Ranulf,
JHWH möge mit Euch
sein auf all Euren Wegen und Euch beistehen bei all Euren Taten, auf dass
ER Euch einst zählen wird zu den Gerechten. Ich schreibe Euch wieder,
diesmal ausführlicher, denn ich weiß mir keinen anderen Rat,
als Euch — und nur Euch, ich flehe Euch an, darüber kein Wort
gegenüber dem Inquisitor zu verlieren! — die Dinge so
darzulegen, wie sie mir zu sein scheinen. Urteilt dann selbst.
Mein Vater hat Euch nicht
die Wahrheit gesagt, als er Euch versicherte, dass der Mönch aus Lübeck,
JHWH möge sich seiner erbarmen, wegen Gelddingen bei ihm
vorgesprochen habe. Nechenja ben Isaak ist ein gerechter Mann, doch ihn
plagte die Furcht vor der Inquisition - besonders vor Fragen, die Ihr an
ihn stellen könntet, die er aber nicht zu beantworten vermag. Ich
werde Euch
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