In Nomine Mortis
nun berichten, wie es sich tatsächlich zugetragen hat,
denn ich will meinen Vater nicht der Gefahr aussetzen, zu Les Halles geführt
zu werden und dort am Galgen zu baumeln oder gar, wie es vor einigen
Monaten mit gefangenen Landsknechten hier geschehen ist, gefesselt in die
Seine gestoßen zu werden, um dort zu ertrinken wie eine schwarze
Katze, die angeblich Unglück bringt.
Mein Vater sammelt seit
vielen Jahren schon geografische Werke. Schon immer, fragt mich nicht nach
den Gründen dafür, ich kenne sie nicht, strebte er danach,
Landkarten, Atlanten, Reiseberichte und dergleichen zu erwerben, seien sie
nun Werke der Alten oder Früchte heutiger Gelehrsamkeit. Seine
Sammlung hat meinem Vater einen gewissen Ruhm eingetragen, zumindest im
Kreise der Männer, die solcherart Gelehrsamkeit zu schätzen
wissen — Christen wie Juden. An jenem Abend nun suchte uns Heinrich
von Lübeck auf und begehrte, die Bibliothek meines Vaters zu sehen.
Mein Vater war überrascht - und auch, verzeiht, Bruder Ranulf,
erschrocken, denn jeder Dominikaner ist in seinen Augen zugleich auch ein
Inquisitor -, als der Mönch an unsere Pforte klopfte. Er hatte ihn
nie zuvor gesehen, wohl aber von ihm gehört.
Sein Sohn, mein Bruder,
ist ja, wie Ihr wisst, Rabbiner in Lübeck und erwähnte
gelegentlich auch Heinrich von Lübeck, da dieser in seiner Heimat ein
geachteter Mann ist und ein verehrter Prediger. Selbst die Juden zu Lübeck
schätzten seine Gelehrsamkeit und die Großmut, die er uns gegenüber
stets gezeigt hat.
Also ließ mein Vater
ihn ein. Heinrich von Lübeck stellte sich uns kurz vor, machte
ansonsten jedoch nicht viele Worte, er schien mir in Eile zu sein. Er
sagte, dass er ein bestimmtes Werk über Geografie lesen wolle und
fragte, ob es im Besitz meines Vaters sei. Als Grund führte Heinrich
von Lübeck an, er wolle etwas für seinen Freund Richard
Helmstede nachsehen, den Reeder und Kapitän aus Lübeck, den Ihr,
Bruder Ranulf, inzwischen sicherlich gut kennt. Verzeiht mir die
ungeheuerlich klingende Unterstellung: Ich glaube, dass der Mönch in
diesem Punkte nicht die Wahrheit sprach, auch wenn ich ihn nicht einer Lüge
habe überführen können. Ich denke jedoch, dass er eher für
sich selbst denn für Herrn Helmstede dieses Werk zu sehen wünschte.
Wie dem auch sei: Mein
Vater jedenfalls besaß dieses Werk und zeigte es dem Mönch.
Heinrich von Lübeck war erregt, ja fast außer sich, wie es
einem Mönch wohl kaum geziemt. Er wollte das Buch, kaum, dass er es
aufgeschlagen und eine Seite gelesen hatte, gleich wieder zuklappen und
mitnehmen. Er bot meinem Vater viel Geld dafür, doch mein Vater gibt
niemals ein Buch her, das er einmal erworben hat. Er verehrt Folianten und
Pergament kaum weniger als die Thora. Er blieb auch standhaft, als
Heinrich von Lübeck abwechselnd flehte und drohte.
Schließlich einigten
sie sich darauf, dass Heinrich von Lübeck wiederkehren sollte. Mein
Vater erlaubte ihm, das Buch in seiner Bibliothek - und unter seinen
wachsamen Augen, auch wenn dies nicht ausdrücklich erwähnt wurde
- zu kopieren. Heinrich von Lübeck dankte ihm, er segnete uns, dann
verabschiedete er sich. Das war ein paar Stunden, bevor seine Seele zu
JHWH einging. Mein Vater hat nie mit mir über diesen Besuch
gesprochen, meine Fragen ignorierte er. Mit keinem Wort erwähnte er
das Buch oder was daran so Besonderes wäre, dass es jener Mönch
unbedingt in seinen Besitz bringen wollte. Ich glaube, mein Vater weiß
selbst nicht, was Heinrich von Lübeck an diesem Werk so in Erregung
versetzte, vielleicht sogar in Furcht.
Ich vermag es auch nicht
zu sagen. Doch mich ängstigt dieses Buch nun. Allein deshalb habe ich
es heute, da ich Euch auf dem Platz vor Notre-Dame erblickte, heimlich an
mich genommen, um es Euch zu übergeben.
Mein Vater darf davon
nichts wissen. Ich bitte Euch: Seht es an, studiert es, sucht es nach
ketzerischen Stellen ab. Ihr seid ein Mann der Gelehrsamkeit und Ihr seid
Dominikaner. Wer außer Euch könnte herausfinden, warum Heinrich
von Lübeck gerade jenes Werk lesen, kopieren und am liebsten besitzen
wollte?
Vielleicht gibt Euch
dieses Werk gar eine Spur, die zu dem Mann führt, der Euren Mitbruder
erdolchte.
Auch Meister Philippe würde
wohl eine Verbindung zwischen dem Werk und Eurem Mitbruder herzustellen
wissen, doch unweigerlich würde er, der oberste
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